Martina Leeker, Juni 2017
Norma C. „Open your Body for Big Data“. Lecture-Performance und Kommentar, 13.12.2018, NRW Forum Düsseldorf, im Rahmen der Veranstaltung Art & Algorithms (2018). Künstlerische Thematisierungen und Kritik von Big Data. Professor Dr. Manuel Zahn (Universität zu Köln), Dr. Harald Gapski (Grimme-Institut)
„Posthuman Chances Lab“. Ein Kunstprojekt
Das Kunstprojekt „Posthuman Chances Lab“ (PHC-Lab) bietet eine Möglichkeit, sich kritisch mit aktuellen Diskursen zum Posthumanismus (z.B.: Karen Barad, Donna Haraway, Rosi Braidotti, Bruno Latour, Mark B. Hansen, Christiane Voß, Benjamin Bratton) sowie den turbo-kapitalistischen technologischen Überschreitungen des „Menschen“ auseinanderzusetzen.
In diesem Lab werden unterschiedliche Projekte zum Kontext des posthumanistischen Diskurses angeboten, z. B. Lecture Performances, Seminare, Workshops oder Ausstellungen. Bei den Projekten handelt es sich um Erkenntnis-Apparate, die mit künstlerisch-performativen Methoden wie Über-Affirmation und Verfremdung kulturwissenschaftliche Forschung betreiben und reflektieren. Das fiktive Lab wird von der Kunstfigur „Norma C.“ geleitet.
Den theoretischen Hintergrund des Labs bilden die Theorien des Posthumanismus. Sie sind hoch geschätzt, da sie auch als eine Möglichkeit gesehen werden, menschlichen Agierenden im Angesicht des Anthropozäns eine Art techno-umweltliche Demut nahezulegen; eine Voraussetzung um die Erde noch zu retten. Zugleich stehen die genannten Theorie und die in ihnen unternommene Verabschiedung des „Menschen“ im Kontext einer techno-logischen Bedingung, in der menschliche Agierende zum Datengeber in selbst organisierenden Infrastrukturen (Wendy Chun) und einer algorithmischen Gouvernementalität (Antoinette Rouvroy) werden. Die PHC-Labs gehen der Frage nach, wie mit dieser Ambivalenz und Gleichzeitigkeit umgegangen werden kann. Dazu werden die posthumanen Theorieansätze und Diskurse im fiktiven Lab affirmativ aufgenommen und in den Projekten für posthumanes Bewusstsein und Verhalten konkret umgesetzt und getestet. In der Affirmation sollen die kritischen Aspekte markiert und erlebbar gemacht sowie die produktiven, gegebenenfalls gesellschaftsverändernden Potenziale ausgelotet werden.
Seminar. Open your Body
Ein Projekt des Posthuman Chances Lab ist das (Fake-)Seminar „Open your Body“, das in einer Lecture Performance vorgestellt wird. Die Kunstfigur Norma C. behauptet zu Beginn, dass sie die akademische Laufbahn beendet habe. Sie begründet dies damit, dass in diesem Kontext keine praktischen und die gesellschaftliche Lage verändernden Interventionen möglich seien. Es sei aber ihr Anliegen, zur Rettung der Erde beizutragen, die vom Anthropozän bedroht sei. Dies zu tun, habe sie das „Posthuman Chances Lab“ gegründet und in Kooperation mit renommierten Wissenschaftler_innen und Forschungsinstituten sowie mit Künstler_innen das Seminar „Open your Body“ entwickelt. Die Lecture hat zum Ziel, dieses Seminar vorzustellen und die Zuhörer_innen für eine Teilnahme anzuwerben.
Im Seminar „Open your Body“ soll laut Norma C. ein Trainings- und Umschulungsprogramm absolviert werden, das es ermöglicht, die Teilnehmenden zu einem direkten Anschluss an die technische Umwelt zu befähigen. Dies gelinge mit Hilfe der Implantation von RFID-Chips. Hintergrund für diese Operation sei, dass die neuen Smart Cities grüne und auf Nachhaltigkeit ausgelegte technologische Environments sind. Sich an diese direkt anzuschließen hieße, die Rettung der Erde zu befördern, da man durch die Unterstützung dieser technischen Umwelten dem Klimawandel entgegenwirken könne. Vor der Implantation durchlaufen die Teilnehmenden Trainingseinheiten zur Öffnung des Körpers. Das mimetische Performen von Tieren sowie die Teilnahme an Kunst-Projekten, in denen man sich etwa durch den Austausch von Körperflüssigkeiten direkt mit der Umwelt verbindet, sollen ein Bewusstsein für ein relationistisches Sein vermitteln und trainieren. Schließlich soll z. B. eine Elektroschocktherapie dabei helfen, den Körper zu aktivieren und alle Sinne und Muskeln zu wecken. Zudem diene sie dazu, den Glauben der Teilnehmenden an den freien Willen oder an die Intentionalität von Handlungen zu irritieren. Diese Öffnungen der Körper sowie des Denkens für die Umwelt, mithin dieses Bewusstseinstraining, seien Voraussetzungen dafür, die Chancen einer direkten und kooperativen Verbindung mit technischen Umwelten zu erkennen und zu nutzen.
Diese Lecture Performance kann an unterschiedlichen Orten wie Universitäten oder Museen sowie zu verschiedenen Anlässen, etwa bei Kunstaktionen oder Tagungen, aufgeführt werden. Je nach Ort bzw. Anlass setzt dieses Diskurstheater andere Schwerpunkte. An der Universität werden die wissenschaftlichen Aspekte pointiert, so dass die Zuhörenden sich auch mit der Performativität wissenschaftlicher Forschung auseinandersetzen können (Vgl. Auftritt Universität Nürnberg). Zudem werden unterschiedliche Formate erprobt, etwa wenn eine Performance von Norma C. mit einem klassischen wissenschaftlichen Vortrag verbunden wird (Vgl. Auftritt Albertinum Dresden).