Experiments&Interventions.
Methoden und Kritik in digitalen Kulturen
“Digital Cultures Research Lab (DCRL). Re-Thinking Methods”
“Digital Cultures Research Lab (DCRL). Re-Thinking Methods”
Digitale Kulturen, verstanden als durch vernetzte Computer hervorgebrachte Umgebungen und unser Handeln in ihnen, bedingen derzeit grundlegende Umwälzungen und Reformulierungen unserer Vorstellungen von Mensch, Handlungsfähigkeit, Kritik, Politischem, Technologischem und Wissen. weiterlesen
Digitale Kulturen, verstanden als durch vernetzte Computer hervorgebrachte Umgebungen und unser Handeln in ihnen, bedingen derzeit grundlegende Umwälzungen und Reformulierungen unserer Vorstellungen von Mensch, Handlungsfähigkeit, Kritik, Politischem, Technologischem und Wissen. Sie absorbieren nämlich Mensch und sein Handeln und verschleiern dies. Dieser Umstand ist allerdings nicht allein der Technik geschuldet, sondern speist sich gleichermaßen aus Gebrauchs- und Diskursgeschichten. Wie also mit einer Situation umgehen, in der es scheinbar kein Außen mehr gibt? An dieser Stelle werden Experiments&Interventions als Methode eines kontinuierlichen, diskursanalytischen Überdenkens und Umdenkens von Bedingungen und Perspektiven digitaler Kulturen vorgeschlagen. Sie soll Einblick in die subjektivierenden, epistemologischen und gouvernementalen Effekte digitaler Kulturen geben und zugleich solche technischen Verfahrensweisen und Verhaltensordnungen erzeugen, die es ermöglichen, nicht dermaßen regiert zu werden (Michel Foucault). Dazu wird das diskursanalytische Vorgehen zudem mit ästhetischen Verfahrensweisen verbunden (Discourse-analytic aesthetics for digital cultures), um zum einen das Potenzial Letzterer zu nutzen, bestehende Ordnungen des Sinnlichen und des Sinns zu verschieben. Zum anderen werden ästhetische Methoden wie Verkörperungen und Inszenierungen sowie Ebenen wie Erleben und Wahrnehmung herangezogen, um Diskurse in ihrer Relevanz und ihren gouvernementalen Effekten erlebbar zu machen und damit die Reichweite der Erkenntnis diskursanalytischer Recherche zu erhöhen. Insbesondere werden diskursanalytische Interventionen und Experimente erprobt und diskutiert, um diesen Aufgaben nachzukommen und die nötigen über- und umdenkenden Formen des Handelns, der Kritik, politischer Öffentlichkeit und Ökonomie sowie des Zugangs zu Wissen zu generieren.
Über Computer vernetzte Systeme operieren längst ohne menschlichen Nutzern Einblick und Steuerung zu gewähren. Zugleich erzeugen diese Systeme eine umfängliche Involviertheit, mit der es zu einer regelrechten Industrialisierung von Affekten und Wahrnehmung kommt. Wissen schließlich gerät in den vernetzten Systemen zu einer Daten-Ökonomie, da jede Operation wird daten-industriell gezählt und ausgewertet. Mit diesen Entwicklungen werden neue Beschreibungen vom Menschen (PDF) aufgerufen, vor allem im Hinblick auf Handlungsfähigkeit, Kritik und bezogen auf seine Beziehung zu Technik sowie Reformulierungen von Ökonomie und politischer Öffentlichkeit(PDF); die entsprechenden Unternehmungen sind derzeit in vollem Gange. Dies zeigt sich sinnfällig in einer äußerst disparaten medienwissenschaftlichen Forschungslandschaft, in der unvereinbare Ansätze nebeneinander stehen. Zum einen werden ontologische Konzepte eines seienden, sich materiell manifestierenden Status der technischen Existenz erarbeitet. Zum anderen fokussieren epistemologische Recherchen die sich je wandelnden historischen und technischen Bedingtheiten und Konfigurationen von Hominisierung und Kulturwerdung. In diesem Prozess ist derzeit ein Bemühen zu beobachten, ein neues Epistem und Regime einer auf basalen Empfindungen und Affekten aufsetzenden technologischen Existenzialität und Sinngebung zu erdenken und durchzusetzen. Daran wird zugleich deutlich, dass die technologischen Bedingungen nicht nur durch Technik, sondern auch durch die Diskurse über sie erzeugt werden.
In dieser Situation sind Methoden wünschenswert, die ein dauerhaftes, diskursanalytisches Über- und Umdenken digitaler Kulturen ermöglichen und dieses als Handlungsfähigkeit ausbuchstabieren und damit Gestaltungsspielräume (auch hier) erzeugen (Diskursanalytische Methoden für digitale Kulturen). Um dies zu erreichen, wäre die Scheu vor der Praxis in epistemologisch orientierten medienwissenschaftlichen Ansätzen zu überwinden und sich auf deren Grundlage einer kritischen technischen Praxis zuzuwenden. Denn diese Ansätze setzen auf Technik- und Wissensgeschichte und untersuchen damit, unter welchen Bedingungen und mit welchen subjektivierenden, epistemischen und gouvernementalen Auswirkungen Menschen und Technik erfunden und zusammengebracht werden. Sie sind mithin ein Garant dafür, durch Rekonstruktionen technikutopischer und technikkritischer Ansätze der Wiederholung problematischer vergangener Lösungen zu entgehen. Eine praktische Orientierung kommt derzeit aus techno-ökologischen (PDF), techno-phänomenologischen (auch hier) sowie objekt-ontologischen Ansätzen. Allerdings tendieren diese dazu, das Werden als Wesen technischer Umwelten über deren Gewordensein zu stellen und darüber die epistemologischen und gouvernementalen Auswirkungen dieser diskursiven Erzeugung technischer Evolution des Menschen in Techno-Ökologien zu vernachlässigen. Vor diesem Hintergrund wären kontributive und kollaborative Ausformulierungen vernetzter Technologien immer wieder daraufhin zu überdenken, ob sie Daten-Industrien dort in die Hände spielen könnten, wo sie ihre eigene technik- und wissensgeschichtliche Bedingtheit und damit ihre diskursive Produktivität nicht beachten. Das auf Dauer gestellte diskursanalytische Überdenken und Umdenken für digitale Kulturen soll mithin zwischen diesen beiden Optionen vermitteln, d. h. Techno-Ökologien und Techno-Ontologien in ihrer Praxisrelevanz auch immer diskursanalytisch und epistemologisch zu betrachten.
Eine vielversprechende Methode dies zu tun, ist die Verbindung von Experiments&Interventions als Verfahrensweise diskursanalytischer Ästhetik. Sie antwortet zugleich als diskursanalytisches Überdenken und Umdenken auf den derzeitigen Hype von Interventionen (PDF). Diese sollen mit ästhetischen und performativen Verfahrenweisen politische Öffentlichkeit, Kritik sowie Handeln und Partizipation in den technologischen Bedingungen digitaler Kulturen herstellen. Dabei entstehen allerdings kurzlebige und unkontrollierbare Performances, in denen es zu einer lustvollen Im-/Potenzierung sowie zu einer selbstbezüglichen Dissensspirale als Form politischen Handelns kommt. Um zu einer diskursanalytischen Ästhetik zu werden, sind also Interventionen zu entwerfen und auszuüben, die zugleich mit deren epistemischen und gouvernementalen Aspekten, d. h. mit den je auftauchenden blinden Flecken zurechtkommen. Dazu sind die kurzlebigen, tendenziell in sich kreisenden Interventionen zudem mit Experimenten zu verbinden, die es ermöglichen, Lösungen zu entwickeln, diese kritisch zu testen und fortwährend zu korrigieren.
HerausgeberInnen: Martina Leeker, mit Irina Kaldrack
Team: Jonas Keller, Tobias Schulze, Nicole Smith, Daniel Sonntag
AutorInnen: Martina Leeker, Irina Kaldrack: Talking about Digital Methods
© 2024 Experiments & Interventions All rights reserved