Martina Leeker, Mai 2018
Kurzbeschreibung
Im Remix-Theaterstück „Marianne und die Rolling Stones“ (Regie Martina Leeker, 2018) werden – im Rahmen von Forschung mit ästhetischen Mitteln – unterschiedliche Formen von Reenactment und Remix als spezifische Theaterform digitaler Kulturen erprobt. Im Zentrum steht die Forschung zu Formen der Subjektivierung in digitalen Kulturen sowie Remix als Kultur der einer „schmutzigen“, vom Geniestreich befreiten Mimesis.
In digitalen Kulturen steht mit dem Internet nämlich ein enormes und leicht zugängliches kulturelles Archiv zur Verfügung, sodass andauernde Wiederholung, Transformation und Re-Organisation von kulturellen Versatzstücken (Remix) alltäglich geworden und an die Stelle der Produktion fixer Werke getreten sind. Was sich in der Theorie so spielerisch anhört und in Musik und Film so leicht von der Hand geht, wird im Stück durch das Verkörpern und Performen von Remix allerdings zu einer erheblichen Herausforderung für die Akteur_innen sowie für Theater selbst. Was geschieht mit der schauspielerischen Authentizität und Originalität, wenn statt eigener Kreationen nur noch Ausschnitte aus bereits bestehenden Theater- (Trust. Falk Richter, Schaubühne Berlin) und Tanzstücken (Pina Bausch, Maguy Marin) oder aus Filmen der sogenannten Post-Internet Art (Ryan Trecartin, Any ever) laienhaft verkörpert (Reenactment) und neu zusammengesetzt (Remix) werden. Ist das Remixen einmal entfesselt, torpediert es bislang verlässliche Bezüge. So entwenden die Darsteller_innen im spielerischen Taumel etwa Fotografien und Biografien von bekannten Persönlichkeiten (Marilyn Monroe, Queen Elizabeth, Grace Jones, Muhammad Ali, Joachim Gauck), um sie mit äußerst alltäglichen eigenen Geschichten zu besetzen. Schließlich wird die Erinnerung einer Spielerin an ihren Besuch des Konzertes der Rolling Stones in der Berliner Waldbühne 1965 so vehement remixt, dass sich das Vertrauen in die eigene Erinnerung verliert und dieser Garant für Wirklichkeit und Identität gänzlich abhanden kommt. An deren Stelle treten Reiz und Reichtum des Performens, Erfindens und Remixens.
Spieler_innen: Marianne Friedrich; Monika Grobler; Dirk Hergemöller; Sabine Nolden; Karen Schäfer.
Technik: Bernd von Boxen, Technische Leitung und Licht; Tobias Schulze, Videoeinspielung; Jonas Keller, Video.
Remix wirft juristische Fragen zum Urheberrecht auf, sodass sich die Remixenden in eine Grauzone begeben. Vielleicht sind die juristischen Fragen sowie die reichlich medial verbreiteten und ausgeschlachteten Auseinandersetzungen dazu als ein letztes Aufbegehren zu deuten, das Modell des „Urhebers“ zu erhalten. Denn es steht für Konzepte wie die Originalität eines Werkes oder die Identität, Subjektivität und Authentizität eines Schöpfers, die allerdings durch das Remixen radikal unterlaufen werden.
Gerade diese widersprüchliche und konfliktuelle Konstellation zwischen Theater und digitalen, technischen Umwelten kann für eine digitale Form der Subjektivierung genutzt werden. Ausgangsidee ist, dass das Remixen da eine dividuelle und schizoide Existenz formt und fördert, wo es Vorstellungen von z. B. individueller Kreativität, Originalität oder Autonomie der Kunst im Zusammensetzen von Vorgefundenem durchkreuzt. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn Remixen – wie in Theater und Performance – verkörpert und damit im konsequenten “Nachspielen” der Kern von Individualität gekapert wird. Damit wird das “Heilige” des Theaters unterlaufen und mit den digitalen Relikten des Authentischen und Individuellen ein synthetisches Subjekt erzeugt. Es zeigt sich im Performen, dass es das Eigene wohl noch nie gegeben haben dürfte, sondern immer nur Remixes und kontingente Konstellierungen. Dies gilt für Beziehungen, Erinnerungen, Gedächtnis, Meinungen, usf.. Wir bewohnen nur die Fundstücke und remixen sie eifrig und gekonnt, dies am besten lustvoll und gewitzt.
In der Inszenierung „Marianne und die Rolling Stones“ werden nicht nur Text re-enacted und remixed, sondern auch Stimmen sowie Sprechweisen. Dies ist Teil der Forschung zum Verkörpern und Aufführen von Theorie/Theorietexten. Die Texte „Neun Thesen zur Remix-Kultur“ von Felix Stalder (2009) sowie „Wir stammen von Animationen ab. Wirklichkeitserfahrung mit Ryan Trecartins Videos“ von Manuel Zahn (2017) werden im Sprachgestus berühmter Wissenschaftler_innen gesprochen. Vorbilder waren: Der Psychoanalytiker Jaques Lacan, der Schweizer Architekt und Künstler Max Bill, der Soziologie und Mitbegründer der „Kritischen Theorie“ Theodor W. Adorno, die Vertreterin der politischen Theorie Hannah Arendt, der Künstler Joseph Beuys und der Philosoph und Vertreter eine Informationsästhetik Max Bense in ihrer legendären Diskussion zu „Kunst – Antikunst“ am 6. Februar 1970 im 67. Forumsgespräch in der Reihe „Meinungen gegen Meinungen“: Teilnehmer Joseph Beuys, Max Bense, Max Bill und Arnold Gehlen, der Soziologe Jürgen Habermas.
und Texten in Frage gestellt und aufs Spiel gesetzt werden, wäre eine rechtliche Absicherung ein Widerspruch in sich. Da wir die Arbeit anderer voll und ganz respektieren, sind im Folgenden die Nachweise aufgeführt. Remixt werden in „Marianne und die Rolling Stones“ in der Reihenfolge ihres Erscheinens:
Pina Bausch. Kontakthof (1978):
* Four Seasons: https://www.youtube.com/watch?v=XTGdeGY2YRU
Aus: Pina, Film von Wim Wenders, 2010.
* Season’s: https://www.youtube.com/watch?v=QCp4I1Vf8Yg
Aus: Pina, Film von Wim Wenders, 2010.
* Kontakthof. Damen und Herren ab 65. Tanzträume. Kontakthof mit Jugendlichen ab 14: https://www.youtube.com/watch?v=pn5cknjzjBg
* Juan Llossas – Frühling und Sonnenschein – from “Pina“: https://www.youtube.com/watch?v=L1rNuzYsWlc
Aus: Pina, Film von Wim Wenders, 2010.
* Pina. Ausschnitte „Making of“. Nicht mehr im Internet auffindbar.
* Pina – Excerpt from Kontakthof: https://www.youtube.com/watch?v=4e3U0flBwJ0
Aus: Pina, Film von Wim Wenders, 2010.
* Kontakthof (reprise). Maison de la Danse: https://www.youtube.com/watch?v=xaxuMQ7Pf1c
Felix Stalder. 9 Thesen zur Remixkultur, 2009. (Auszüge)
https://irights.info/wp-content/uploads/fileadmin/texte/material/Stalder_Remixing.pdf
Ryan Trecartin. Any Ever, Trailer: https://vimeo.com/24322738
Manuel Zahn, „Wir stammen von Animationen ab.“ Wirklichkeitserfahrung mit Ryan Trecartins Videos, Zeitschrift für Kunst, Medien, Bildung, 2017, (Auszüge) http://zkmb.de/1023
TRUST – Schaubühne Berlin – Clip 1 – von Falk Richter und Anouk van Dijk: https://www.youtube.com/watch?v=4ucQrW02R6w
Rolling Stones in der Waldbühne. Berliner Abendschau 1965: https://www.youtube.com/watch?v=-XM-tUB-Y58
Falk Richter. Trust (2010), Szenen. 14 Jahre/ 3Wochen: http://www.falkrichter.com/ckfinder/userfiles/files/PDF/Theatre%20plays/Trust.pdf
Maguy Marin. May B. 1981: https://www.youtube.com/watch?v=71wZJLRAYz0, https://www.youtube.com/watch?v=OY87CATJ2k8