Martina Leeker, September 2016
Film 1. The End of Stupidity. Ein Film von Anton Moosleitner
Überblick
Im November 2014 fand in Kooperation des Digital Cultures Research Lab (DCRL) der Leuphana Universität Lüneburg mit dem Living Place der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW) ein transdisziplinärer Workshop statt. Es ging darum, Methoden und Praktiken zu erkunden, mit denen einer ambivalenten Situation begegnet werden kann, die vom Wohnen in selbst-organisierten, sogenannten smart houses ausgelöst wird. In diesen technologischen Environments werden nämlich, etwa zur Regelung von Temperatur oder Beleuchtung, Daten von den Bewohner_innen erhoben, was zumeist ohne deren Wissen und Wollen geschieht. Auf diese Weise erlangen menschliche Agierende durch die technischen Umwelten zwar Wissen über sich selbst, da Vorgänge sichtbar werden, die ansonsten verborgen blieben. Zum anderen entziehen sich die technologischen Operationen aber der Kenntnis ihrer Nutzer_innen. In solchen smarten Umgebungen unter Dauerbeobachtung gestellt, taucht deshalb die Frage auf, wie man sich vor dieser schützen und zugleich die Errungenschaften der technischen Umwelten nutzen kann. Bei den Erprobungen von Verhaltensweisen und Ästhetiken, die dabei helfen, mit der genannten Ambivalenz umzugehen, wird immer in Rechnung zu stellen sein, dass es keine umfängliche Transparenz und kein alles durchdringendes Verstehen mehr geben wird. Vielmehr gilt es, mit dem partiellen Nicht-Verstehen umzugehen und gerade daraus Praktiken und Verhaltensweisen zu entwickeln.
Die genannten Fragen zu erkunden, kamen die Verantwortlichen des Living Place, Kai von Luck, Tobias Eichler und Susanne Draheim, mit Kultur- und Medienwissenschaftler_innen bzw. Studierenden der Leuphana Universität sowie mit Künstler_innen im Workshop zusammen. Der Workshop wurde konzipiert und organisiert von Irina Kaldrack und Martina Leeker, beide 2014 Mitarbeiter_innen am DCRL, unter Mitwirkung von Nishant Shah, Digital School der Leuphana Universität Lüneburg. Ebenso von der Leuphana Universität nahmen teil Leon Kaiser, Robert Rapoport und Tobias Schulze, und als Gast Özge Cakirbey. Die beteiligten Künstler_innen waren die Performance- und Medienkünstler_innen Elke Utermöhlen und Martin Slawig, Black Hole Factory, Braunschweig sowie der Musiker und Medienkünstler Roger Mills, Sydney, Australien. Die technischen Umgebungen sollten im Workshop zum Performen gebracht werden. Zugleich waren es diese, die die menschlichen Agierenden zu Performances anleiteten.
Anton Moosleitner hat aus dem Video-Material, das beim Workshop entstand, zwei Filme erstellt, die eigene Geschichten vom performing smart house erzählen.
Das Smart House: Kai von Luck, Tobias Eichler, Susanne Draheim
Die Universität: Leon Kaiser, Irina Kaldrack, Martina Leeker, Robert Rapoport, Tobias Schulze, Nishant Shah
Die Künstler_innen: Elke Utermöhlen, Martin Slawig, Roger Mills
Gäste: Özge Cakirbey
Film 2. Making sense – Performing Data. Ein Film von Anton Moosleitner
Mit Elke Utermöhlen und Martin Slawig
Anliegen und Relevanz sowie die Brisanz des Workshops erschließen sich, wenn er im größeren Kontext Daten erfassender Infrastrukturen gesehen wird.
Smart houses lassen sich wie folgt beschreiben. Sie organisieren sich selbst und sorgen z. B. für ausreichend Wärme, Nahrung oder Sauerstoff. Leben kranke Menschen in ihnen, dann können Sensoren die Überwachung der vitalen Werte übernehmen und, wenn nötig, Hilfe herbeirufen. Diese Dienstleistungen zu erbringen, sammeln smart houses ohne Unterlass Daten und werten sie oftmals ohne jegliche Kenntnis der menschlichen Bewohner_innen aus.
Diese Wohnräume wiederum zielen darauf ab, Teil größerer Infrastrukturen zu sein, nämlich z. B. sogenannter smart cities (Nerea Calvillo, Orit Halpern, Jesse LeCavalier, Wolfgang Pietsch, Test Bed Urbanism, Public Culture, 25:2, 2013). Diese sich selbst organisierenden Städte sind gleichsam ein Umschlagplatz des „Internet der Dinge“. Auf Wikipedia ist die lapidare Beschreibung zu lesen: „Die gesamte städtische Umgebung ist dabei mit Sensoren versehen, die sämtliche erfassten Daten in der Cloud verfügbar machen. So entsteht eine permanente Interaktion zwischen Stadtbewohnern und der sie umgebenden Technologie. Die Stadtbewohner werden so Teil der technischen Infrastruktur einer Stadt.“ (hier).
Die Medien- und Kulturwissenschaftlerin Orit Halpern beschreibt über diese Sicht hinausgehend die Visionen von Sam Palmisano, Chairman von IBM, einem ökonomisch gewichtigen Vertreter für die logistische Ausstattung von smart cities. In dieser Erzählung kündigen sich Stoßrichtung und Konsequenzen der smarten Cities schon etwas deutlicher an. Es geht, so folgert Halpern, schlicht uns Überleben in Environments, die nur noch als digital gesteuerte zu haben sind:
“In glowing terms, Palmisano laid out a future of fiber optic cables, high bandwidth infrastructure, seamless supply chain and logistical capacity, clean environments and eternal economic growth through a new discourse of ‘smartness’. IBM, he argued, would lead the world to the next frontier, a network beyond social networks and mere twitter chats; a future in which humans and machines are integrated into a seamless ‘Internet of Things’ capable of generating data to make decisions, organize production and labor and enhance marketing. An ‘Internet of Things’ with the ability to precipitate greater democracy and prosperity, and perhaps most importantly guarantee the very existence and survival of the human species: bandwidth would come to mean, quite literally, survival.”
Es tritt in großer Klarheit zutage, dass in diesen vermeintlich intelligenten Städten nur diejeinigen überleben, die auch in das Netz der Infrastrukturen und smarten Dinge eingebunden sind: Connect or die. Mit der Medienwissenschaftlerin Shannon Mattern wäre den Visionen von IBM ob der existentiellen Lage entgegenzuhalten, um was es in den Städten geht:
“Then it’s all about data-capture and pattern-spotting and behaviorist explanations. Built environments and technical systems are presumed to inform human behavior, and data about that behavior is fed back into the environment to alter future human behavior. It’s B. F. Skinner with sensors.”
Die Auseinandersetzung mit smart houses ist mithin von Interesse, da sie symptomatisch für einen zukunftsträchtigen Kernbereich digitaler Kulturen sind. Denn diese Behausungen stehen für automatische Umwelten, die sich anschicken, Menschen und technische Dinge in ein unauflösbares Handlungsensemble zu verwickeln. In diesem werden zum einen Rolle, Funktion und Selbstverständnis der menschlichen Agierenden neu zu bestimmen sein. Zum anderen sind neue Beschreibungen für Medien und technischer Dinge sowie von Performances der technologischen und menschlichen Agierenden (Vgl.: Martina Leeker, Performing (the) Digital. Positions of critique in digital cultures, in: Martina Leeker, Imanuel Schipper, Timon Beyes (Hg.), Performing the Digital. Performativity and Performance Studies in Digital Cultures, Bielefeld: transcript 2016) zu entwickeln. Karen Barad spricht in diesem Kontext von einer „posthuman performativity“ (Karen Barad, Posthumanist Performativity: Toward an Understanding of How Matter Comes to Matter, 2003). In deren Fokus stehe vor allem ein neues Verhältnis von menschlichen und anderen Agierenden, in dem es keine unabhängigen Entitäten mehr gäbe und keinem der Bestandteile eine Priorität zukomme. Mit dieser Konstitution wird Performativität zu einem nicht vorhersehbaren und kontrollierbaren Operieren verteilter Handlungskräfte.
Als ein Beispiel für Neu-Beschreibungen und deren innovatives Potential kann das Projekt „Furnishing the Cloud“ gelten. Beteiligt waren Forscher_innen verschiedener Universitäten und Colleges in New York (New School for Design, New School for Social Research, School of Media Studies, New School for Public Engagement). Dass neue Weisen des Beschreibens zugleich die Aufgabe haben können und sollten (!), in die sich abschottenden Infrastrukturen zu intervenieren, zeigt sich, wenn die Macher_innen das Konzept beschreiben als: “[…] fostering new directions in studying infrastructure. We want to ‘furnish’ our seemingly ephemeral clouds of data and information with ideas, designs, sentiments, emotions, and encounters.” (hier). Bei dieser „Möblierung“ der opaken infrastrukturellen Umwelten spielte zunächst vor allem die Erfindung eines neuen Vokabulars und dessen Reflexion eine wichtige Rolle:
“We need a new vocabulary! The study of infrastructure is dominated by discourses of ‘soft’ and ‘hard’, ‘visible’ and ‘invisible’. These terms constrict us into older conversations about mind/body, materiality/abstraction, modern/not-modern, and West/Non-West. We are trying to find a new way to ‘speak’ and therefore ‘act’. This project is about rethinking how we talk about, envision, and therefore design infrastructures.”
Smart houses stehen somit für zwei Aspekte, die digitale Kulturen konstituieren. Erstens erhalten Medien in den durch Infrastrukturen gekennzeichneten digitalen Kulturen einen neuen Status. Denn sie haben sich in technische Umwelten aufgelöst, die allseits präsent sind (ubiquitous) und in alle Lebensbereiche eindringen (pervasive). In diesen technischen Umwelten und deren Infrastrukturen sind smarte Dinge (Florian Sprenger, Christoph Engemann (Hg.), Internet der Dinge. Über smarte Objekte, intelligente Umgebungen und die technische Durchdringung der Welt, transcript: Bielefeld 2015) anwesend, die mehr von uns zu wissen scheinen als wir selbst. Mit der Ubiquität geht zweitens einher, dass Medien zum Alltag geworden sind. Das heißt, sie sind so selbstverständlich und unerlässlich, dass sie nicht mehr ins Auge fallen; es sei denn sie funktionieren nicht einwandfrei oder sie gehen verloren. Sie sind also nicht mehr wegzudenken und integraler Bestandteil von Kultur und prägend für menschliche Verhaltensweisen. Mensch und Technologie können aus diesem Grund nicht mehr auseinanderdividiert werden. Sie sind vielmehr untrennbar miteinander verwoben und als ein Ensemble zu betrachten.
Alltäglichkeit und Ubiquität haben gravierende Konsequenzen. Dazu zählt u. a., dass sie es erschweren, eine kritische Distanz zu den technischen Umwelten zu entwickeln, geschweige denn sich jenseits der digitalen Erfassungen und Interaktionen zu begeben. Von besonderer Wichtigkeit ist es deshalb, die neuen Handlungsensembles auf die ihnen innewohnende Gouvernementalität hin zu analysieren.
Diese Lage sowie diese Problemstellung bildeten den Ausgangspunkt für den Workshop. Es galt, Subjektivität und Autonomie, Sinnstiftung sowie die Gouvernementalität von smarten Umgebungen durch performative Experimente zu erkunden und Strategien für Gegenmaßnahmen zu erproben.
Um die Gouvernementalität der smarten Umwelten zu ermitteln, sind die algorithmischen Operationen zu verstehen, die diese steuern. Damit rückt die Frage in den Vordergrund, wie diese „smart“ wurden und welche Effekte die technologische „Smartness“ für die menschlichen Agierenden hat.
Orit Halpern hat die Genealogie dieser „smartness“ (Orit Halpern, Smartness as Instrument. Decision making and the legacy of the nervous net, A/R/P/A Journal, Issue 04, Instruments of Service, Mai 2016) rekonstruiert. Sie käme aus dem auf Kommunikation, Kontrolle und Feedback beruhenden, kybernetischen Neuronenmodell von Warren McCulloch und Walter Pitts aus den 1940er Jahren. Mit diesem Modell wurden kognitive Vorgänge zu solchen der Informationsverarbeitung. Dabei rückte Entscheidungsfindung (decision making) als operationalisierbarer Ausdruck von Intelligenz in den Mittelpunkt. Mit diesen Umstellungen wurden Denken und Intelligenz, bzw. was zu einem bestimmten Zeitpunkt dafür gehalten wurde, mithin technisch implementierbar. Es gehe aber nicht, so Halpern (ebda.) um die Frage, ob Maschinen denken können. Vielmehr ist für die Erfassung der gouvernementalen Aspekte smarter Umwelten die mit ihnen entstehende Epistemologie wichtig, mit der die technischen Vorgänge neu gesehen werden. Orit Halpern fasst zusammen:
“This new epistemology rests on three seemingly unimportant points that when looked at together join the history of logic, engineering practices and human sciences into a new assemblage. The first is that logic is now both material and behavioral, and agents can be an- or non-ontologically defined or ‘black boxed.’ Second, cybernetic attitudes rely on the repression of all concerns over documentation, indexicality, archive, learning and historical temporality. And third, the temporality of the net is pre-emptive. It always operates in the future perfect tense, without necessarily defined endpoints or contexts. […] Together, these points redefine rationality as both embodied and affective, and suggest that good science is not the production of certitude, but rather the account of chance and indeterminacy.”
Es geht mithin darum, so Halpern, dass eine experimentelle Epistemologie entsteht, die sich aus Unsicherheit und Unbestimmtheit konstituiert und diese zum Ausgangspunkt für „Engineering“ nimmt:
“What had been an absolute limit to mathematical logic became an extendable threshold for engineering. McCulloch implied that humans should accept our partial and incomplete perspectives, our inability to know ourselves, and consider this ‘psychosis’ an ‘experimental epistemology.’”
Diese Epistemologie des Unsicheren, rein Zukünftigen und Unvollständigen setzt sich fort in Algorithmen, wie sie heute die technischen Umwelten regeln. Halpern konstatiert:
“Markov chains have a remarkable characteristic, they can tell the future of a state, but never the past. They are memoryless. […] What makes Markov chains particularly useful is their ability to assist us in creating futures for systems and applying probability into engineering, under conditions of incomplete information. They are the logics of the cloud, embracing the lack of visibility to produce interactivity. […] Since Google grounds its ad placements and search results in part by mapping how many links are attached to each site, and in part by estimating through (we assume) Markov processes the demands, speed, information availability and user profile, of and from the network, these algorithms both create a partial snapshot of the network, and produce a speculative assumption on the next state the network (and user) will take. These rankings, and their affiliated advertisements for further consumption or interest, are speculations based on moving users and data without bottleneck through Google’s vast warehouses of information. Such systems proliferate—Facebook advertisement and Netflix suggestion algorithms, Amazon recommendations—it is endless.”
Der gouvernementale Effekt dieser ingenieurstechnischen Epistemologie ist, so Halpern, dass:
“[…] our financial instruments, markets, governments, organizations and machines are rational, affective, sensible and preemptive—not reasonable. To recognize the significance of this thinking in the present, it might help to contemplate Brian Massumi’s definition of ‘preemption.’ Preemption, he argues, is not prevention; it is a different way of knowing the world. Prevention, he claims, ‘assumes an ability to assess threats empirically and identify their causes.’ Preemption on the other hand is affective. It lacks representation. It is constant nervous anticipation at a neural if not molecular level, for a never fully articulated threat or future.”
Die smarten Environments und Dinge verwickeln die menschlichen Agierenden somit in eine auf Dauer gestellte Nervosität. Diese hat letztlich kein anderes Ziel als das Handeln auf eine unsichere Zukunft hin, dem es allein um das Tun selbst geht.
Es steht in Frage, wieso dieses bedingungslose Handeln der menschlichen Agierenden, das der gouvernementalen Auswirkungen der smarten Umwelten entspricht, so problemlos funktioniert und hingenommen wird. Orit Halpern führt dazu aus, dass die technische Umwelten so verführerisch sind, weil sie „[…] satisfy—if not automate—our desires by answering every demand of consumption with ever greater responsiveness and supply chain flexibility.“ (Orit Halpern, Cloudy Architectures, Continent, Issue 4.3 / 2015, S. 34-45: 35). Obwohl es sich um rein statistische Datenmanöver und –operationen handelt, beziehen wir diese ständig auf uns selbst (ebda.). Dies, so Halpern, „ […] results not in knowledge, but in the seeming fulfillment of our desires, our need for perceived connections, through immersion into responsive, sensory, environments.” (Orit Halpern, Cloudy Architectures, Continent, Issue 4.3 / 2015, S. 34-45: 36). Es geht mithin um die Sehnsucht nach Bindung, die sich in Konnektivität übersetzt. Verborgen wird dabei allerdings, dass die Auswertung der Massen von Daten nunmehr von Algorithmen übernommen wird, weil sie von Menschen nicht mehr zu erfassen sind. Die menschlichen Agierenden sitzen in den smarten Infrastruktur-Kulturen in Kontrollräumen vor Monitoren und verlieren ob deren Flimmern ihren Kopf (Halpern ebda.). Trotz dieser Lage, so Halpern: „[…] in art and in life we continue to insist that increased interactivity and responsiveness will connect us, make our lives more humane, save our world.“ (Orit Halpern, Cloudy Architectures, Continent, Issue 4.3 / 2015, S. 34-45: 36).
Ob der Bindungssucht des Menschen wird nach Halpern vergessen, dass: „Our individual narcissism has replaced the crowd, and the algorithm has replaced history. Clouds, like the weather, change and move; they are not about historical time, but about preemption, anticipation, self-organization.“ (Orit Halpern, Cloudy Architectures, Continent, Issue 4.3, 2015, S. 34-45: 42).
Die Regierungsweisen der „smartness“ haben gravierende Auswirkungen bezogen auf die Formation politischer Öffentlichkeit. Diese galt es auch für den Workshop zu bedenken, da es um Praktiken zum Verhalten in smart houses ging. Zu denen zählen neben den Handlungsbedingungen von Subjekten perspektivisch auch gemeinschaftliche, politische Handlungsoptionen.
Es steht in Frage, ob und wie bürgerliches Engagement in den smarten Umwelten möglich ist, von denen der Vorsitzende von IBM, wie bereits angeführt, behauptet hatte, sie seien: „[…] capable of generating data to make decisions, organize production and labor and enhance marketing. An ‘Internet of Things’ with the ability to precipitate greater democracy and prosperity, […].“ (Orit Halpern, Smartness as Instrument. Decision making and the legacy of the nervous net, A/R/P/A Journal, Issue 04, Instruments of Service, Mai 2016). Shannon Mattern reflektiert dagegen, die Medienwissenschaftlerin Jennifer Gabrys zitierend, das Verhalten, das sich in den technologischen Umwelten bezogen auf Subjekthaftigkeit herstellt:
„Media scholar Jennifer Gabrys argues that people enact their citizenship—or empirically ‘behave’ like citizens—by installing smart thermostats in their homes, depositing trash in the appropriate chutes, monitoring air quality and noise levels while they walk the dog, and FitBitting their way to good health. Through this self-monitoring (and the voluntary provision of personal data to some central repository), they presumably learn to make informed and responsible choices, to alter their behavior when necessary, and to contribute to the collective sustainability effort.“
In dieser Mischung aus Verhaltenskoordination und von Algorithmen bestimmter Bürgerschaft sehen Mattern und Gabrys demokratische Handlungsräume und -möglichkeiten schwinden und eine neue Form automatisierter politischer Öffentlichkeit entstehen:
“Smart citizenship, Gabrys says, is thus equated with monitoring and managing one’s relationship to the urban environment—‘operationalizing the cybernetic functions of the smart city’—rather than with ‘exercising rights and responsibilities’ or ‘advancing democratic engagement through dialogue and debate,’ as Arendt would prefer. […] The result is a passive, somewhat egocentric notion of citizenship—even an automated performance of citizenship, wherein self-managing environmental technologies […]. What’s more, Gabrys says, ‘the very responsiveness that enables citizens to gather data’ often doesn’t let them ‘meaningfully act upon the data gathered, since this would require changing the urban system in which they have become effective operators.’”
Es stellt sich nun im Hinblick auf den hier zu verhandelnden Workshop im smart house der HAW die Frage, wie mit den smarten Umwelten so umgegangen werden kann, dass dessen gouvernementale Wirkungen unterlaufen, sie zumindest reflektiert werden.
Mit dieser Frage öffnet sich zunächst ein aktuelles Diskursfeld, in dem die digitalen Zukünfte verhandelt werden. Es geht um die Entwicklung konkreter Gestaltungsweisen, die beispielhaft im Kontext der digitalen Agenda der Bundesregierung diskutiert werden. Hier kommen Naturwissenschaft, Geisteswissenschaft und Design im Erschaffen digitaler Umwelten (Ralf Nester, Interview mit Christian Thomsen. Einstein-Zentrum für digitale Zukunft. Wie Berlin Hauptstadt der Digitalisierung wird, Tagesspiegel, 12.9.2016) zusammen. Paradigmatisch ist die Arbeit von Gesche Joost, Leiterin des Design Research Lab der Universität der Künste Berlin (UdK). Joost führt zunächst zu ihrem Verständnis von smart cities aus:
„Der Begriff hat ja mehrere Bedeutungen: einerseits die technologische Ebene. Durch vernetzte Technologien, durch das Internet der Dinge können Infrastrukturen – wie die Verkehrssteuerung – so gestaltet werden, dass sie intelligent funktionieren. Die Smart City ermöglicht auch neue Formen des dezentralen Produzierens: Wir können Ideen in einen Prototypen verwandeln, den wir schnell 3D ausdrucken. Das ist technisch auf der Höhe der Zeit und birgt ein großes wirtschaftliches Potenzial.“
In die euphorische Haltung mischen sich kritische Untertöne, wenn Joost ausführt:
„Andererseits geht es um gesellschaftliche Relevanz, um die Teilhabe aller Bürgerinnen und Bürger an der digitalen Gesellschaft. Wir müssen eine Brücke zwischen den beiden Bedeutungen schlagen. […] Wir sind gerade an einem Scheideweg. Was wir jetzt brauchen, ist eine gesellschaftliche Reflexion: Was passiert mit unseren Daten? Was ist ein positives Szenario für Big Data, das zwischen ökonomischem Nutzen und Privatsphäre des Einzelnen vermittelt? Und bedeutet ‚smart’ einfach nur eine Effizienzsteigerung?“
Die problematischen Punkte sind allerdings nicht ausschlaggebend, solange für eine Partizipation aller Bevölkerungsschichten an digitalen Kulturen gesorgt ist, so Joost: „Meine Vision ist die einer inklusiven digitalen Gesellschaft, die den Zugang zu Wissen ermöglicht, durch digitale Schnittstellen Teilhabe eröffnet und gleichzeitig wirtschaftliches Wachstum fördert.“ (Interview mit Gesche Joost, „Die digitale Gesellschaft ist für alle da“, Der Tagesspiegel, 09.12.2015). In diesem Kontext werden die Vorstellungen von Design reformuliert:
[…] Design hat für mich kaum noch mit Ästhetik oder schönen Produkten zu tun. Unter dem Begriff ‚Social Design’ organisieren wir viele Bürger-Werkstätten, sogenannte Living Labs. Wir setzen uns mit Bürgerinnen und Bürgern vor Ort zusammen und untersuchen: Was ist denn meine Nachbarschaft, im Sinne einer Smart City, die man selber gestaltet? Man lädt Kreative dazu ein, macht Interventionen in der Stadt und versucht zu begreifen: Was bedeutet mein Kiez, wie vernetze ich mich mit meinen Nachbarn? Wie kann ich mich aktiv als Bürger einbringen? […]
Unsere Frage am Anfang war: Kann man eigentlich von der Basis das Konzept einer smarten Nachbarschaft entwickeln? Unter anderem haben wir zusammen mit dem Senioren Computerclub auf der Fischerinsel in Berlin-Mitte einen digital-analogen Briefkasten entworfen, weil viele der älteren Bürger gar keinen Computer haben. Um an einer Online-Diskussion teilzunehmen, schreibt man seine Frage also einfach auf eine Postkarte, schiebt sie in diesen Briefkasten, der die Karte fotografiert und in einen Online-Blog hoch lädt. Das ist dann auf dem Display am Briefkasten zu sehen – die Karte ist sozusagen ins Digitale gefallen. Online wie auch analog am Briefkasten kann man nun kommentieren oder weiter verlinken. Solche kleinen Brücken sind wichtig, um Teilnahme an der Vernetzung zu ermöglichen. Keine Metakonzepte, sondern ‚Civic tech’ – Technologien für bürgerschaftliches Engagement.“
Anders als im Modell von Gesche Joost wäre aus Sicht von Shannon Mattern die Möglichkeiten zur Partizipation überhaupt erst einmal technisch herzustellen:
“The politics of data, and the materiality of its infrastructure, could be made legible—or senseable—within the landscape. […] designers might offer a peek into mechanical systems like the trash chute, there could also be civic education to inform residents and visitors about what makes the community so ‘smart’—and about their own potential for managing the uses of the data they generate. A public library would be an ideal venue for such public pedagogy, and for providing an interface to—and guiding patrons’ use of—open data provided by […] the city government. Further, we need to ensure that public institutions and repositories have the resources to commit to the long-term maintenance of open, secure information infrastructures. That is especially important in cities powered by commercial IT and dependent on proprietary platforms. History shows that commercial partners tend to value innovation-driven obsolescence, exclusive contracts, and the monetization of user data; rather than resilience, interoperability, equitability, and discretion.”
Orit Halpern bringt zudem künstlerische Verfahrensweisen ins Spiel, um die Gouvernementalität des “Connect” durch künstlerische Verfahrensweisen zu erkunden und zu verstehen. Sie verdeutlicht dies an der Installation Listening Post (2001) von Mark Hansen und Ben Rubin. Hier wurden Textfragmente aus Internetforen und Chatrooms auf über 200 kleinen, vernetzten Monitoren gezeigt. Ausschlagend ist, dass die Auswahl und Komposition nicht zufällig ist. Orit Halpern schreibt:
“If Listening Post differs from contemporary smart cities, or Google PageRank, it is because it is so carefully choreographed and cadenced. The artists have unearthed the potentiality of ephemerality and invisibility,—if we cannot see objectively, then perhaps we can see differently. It has taken the mechanization of our communications systems and relations to their logical extreme, to reveal that the ‚need’ to connect is not primitive, it is technological. It is born of our machines, and our clouds. No matter the Markov chain, we can never know the weather, or each other. The work of art, and perhaps what Listening Post might still remind us of, is that desire may always exceed automation; there is always something left for imagination. Perhaps something beyond the instantaneous fulfillment of our every demand at the interface. Invisible architectures that can never be represented, but may yet become transformative.”
Vor dem bisher diskutierten Hintergrund war es Aufgabe des Workshops, Methoden und Praktiken zum Umgang mit smarten Umwelten zu entwickeln. Dabei ging es weniger darum, affirmativ deren Produktivität zu steigern, wie dies am Beispiel der Arbeit von Gesche Joost deutlich wurde. Zu groß sind die Interessen der Daten-Ökonomie, die auf die Erfassung von Daten spekulieren und sich die Bindungssucht der menschlichen Agierenden zunutze machen, dies zu erreichen. Wendy Chun führt luzide aus, dass die Abgabe von Daten gleichsam das Lebenselixier (Wendy Hui Chun, “Big Data as Drama.”, in: ELH 83 (2), S. 363-382, hier S. 367,) der technologischen Umwelten von technischen Dingen und Infrastrukturen ist. Dies gehe soweit, dass sie auch von Fehlern nicht gebremst werden. Sie schreibt:
“Algorithms need mistakes—deviations from expected or already known results—in order to learn. Singular events or crises are thus not exceptions, but rather opportunities to improve: they feed the algorithm. Deviations are encouraged, rather than discouraged; deviant decoding makes better encoding possible. Constant participation grounds surveillance.”
Eine auf Dauer gestellte Datenabgabe, die im Nicht-Wissen von deren Politiken stattfindet, wäre mithin Sinn und Zweck der Partizipation an technologischen Umwelten.
Aus den Überlegungen, die Shannon Mattern dazu anstellt, was mit dieser Datenpolitik auf dem Spiel steht, lassen sich weniger affirmative Konzepte als die von Gesche Joost herausarbeiten:
“Within this model, people do possess agency, but their actions are framed by their roles as consumers and generators of data. What about human activities that cannot be observed? What about all those potential behaviors that are never enacted, and thus never measured, because the physical space or its regulation prohibits them—or because one’s subjectivity proscribes a repertoire of possible behaviors? What about other modes of action, other means by which people perform their urban citizenship? How will the new methods of measurement and planning inform what it means to be a citizen in a quantitative community?
‘The trouble with modern theories of behaviorism,’ Hannah Arendt warned in 1958, is ‘not that they are wrong but that they could become true’—that the very instruments used to measure behavior are indicative of, and constitutive of, societies of automatism and ‘sterile passivity.’ The data we generate, based on determinist assumptions and imperfect methodologies, could end up shaping populations and building worlds in their own image.”
Wenn die technischen Möglichkeiten und technologisch-konzeptuellen Einschreibungen der smarten Umgebungen vorgeben, welches Verhalten überhaupt erfasst und damit auch weiter entwickelt werden kann, dann bietet dies neben Einschränkungen auch Chancen. Denn es entstehen gleichsam in den Schattenseiten der infrastrukturellen Erfassung Lücken, in denen erstere zum einen unterlaufen werden kann. Zum anderen lassen sich aus den Schattenseiten Verhaltensweisen und Epistemologien herausschälen, die ohne die Begrenzungen nicht denkbar gewesen oder aufgefallen wären. Oder, anders gewendet, es geht darum, die verlorenen, nicht beobachteten und verqueren Verhaltensweisen ausfindig zu machen, die eine selbstermächtigende Aneignung des smart house sowie eine Reflexion von dessen Operationen möglich machen könnten.
In diesem Kontext hatte der Workshop mithin die Aufgabe, Methoden und Praktiken zu erkunden, mit der ambivalenten Situation umzugehen, in der menschliche Agierende mehr von sich selbst erfahren und zugleich auf das technisch Erfassbare reduziert werden. Es geht also nicht mehr um die Frage, wie man den technischen Umwelten entfliehen könnte oder aber wie sie zu stoppen wären. Denn es ist ja, wie herausgearbeitet, unübersehbar, dass menschliche Akteure und technische Aktanten zutiefst verbunden sind und sich in wechselseitigen Performances befinden. In Frage steht vielmehr, welche Verhaltensweisen im Abseits der Datenerhebung liegen, welche Praktiken Schutz bieten, welche Erkenntnisformen und Weisen der Kritik möglich sind in den opaken Systemen und welche Erinnerungen und Archive nötig und machbar sind, um „Best Practices“ verfügbar zu machen. Gerade Formen der Archivierung sind von großer Wichtigkeit, wie sich von den hier vorgestellten Ausführungen von Orit Halpern zur Zeitlichkeit smarter Umwelten ableiten lässt. Sie hatte die auf Vorhersagen fokussierte algorithmische Steuerung für die Geschichtslosigkeit technischer Umwelten und die daraus resultierende Regierung menschlicher Agierender durch Dauererregung verantwortlich gemacht. Letztlich geht es mithin um Selbst-Erkenntnis darin, welche Rollen und Verhaltensweisen vorgeschrieben werden und welche Möglichkeitsräume der Handlungsermächtigung denkbar sind.
Die Vorschläge, die dazu im Workshop entwickelt und erprobt wurden, bestanden zum einen darin, übertriebene, über-affirmative Geschichten zu erfinden, in denen das smart house sowie seine potenziellen, zukünftigen Bewohner_innen ausgestellt und zugleich dekonstruiert wurden. Zum anderen wurden Schutzmechanismen erfunden und vorgestellt, die erst aus den technologischen Bedingungen entstehen. Schließlich entstanden drittens neue Formen von Geschichten, Denkfiguren und Verhaltensweisen, die zutiefst techno-logisch waren und Re-Orientierungen bisheriger Umgangsweisen mit Mensch und Technik einforderten.
Die im Workshop ermittelten Verfahrensweisen der Über-Affirmation, des Performing smart house, mithin das Performen in ihm und das Performen-Lassen des technischen Environment, sowie der queerenden Erfindung sind probate Methoden in dieser Lage, in der es kein Außen für Kritik und Reflexion mehr gibt und man sich in Dauererregung befindet. Mit der queerenden Erfindung ist eine doppelte Strategie gemeint. Man nimmt erstens zunächst eine offene Haltung zu den technischen Umgebungen ein und erprobt diese. Erst aus diesem Zugang werden dann problematische Aspekte digitaler Kulturen ablesbar, die es aus dem konkreten Erleben heraus zu durchkreuzen (queeren) gälte. Die Erfindung entsteht zweitens aus der Aufgabe, einen zeitnahen Science Fiction zu entwickeln. Denn diese Aufgabe ermöglicht es, bekannte und habitualisierte Verhaltensmuster zu überwinden und bisher unbekannte anzusteuern.
Anton Moosleitner hat aus dem Video-Material, das beim Workshop entstand, zwei Filme erstellt, die eine eigene Geschichte des smart house erzählen. In diesen Filmen kommen gleichwohl die soeben genannten Methoden zum Tragen. Menschen erzählen über-affirmierende Geschichten vom smart house, sie performen dieses mit dem Effekt, dass aus dem Tun Erkenntnis entsteht und sie erfinden Geschichten aus der Zukunft. Mit diesen werden aktuelle Vorstellungen durchkreuzt und auf die Tradierung problematischer Menschen- und Technikbilder hin abgeklopft, wie z. B. das Denkmodell eines instrumentellen Technikgebrauchs oder das eines autonomen Subjektes. Im Ringen mit diesen Konzepten entsteht zum einen eine Kritik von Technik-Geschichte und exklusiver Anthropologie, indem die Chancen der Handlungs-Agenturen im smart house ermittelt werden. Zum anderen sind es die tradierten Spuren älterer Vorstellungen, die eine Referenzfolie für die kritische Reflexion des Neuen bieten.
Die Filme sind schließlich eine Form der Archivierung eines bescheidenen, guerilla-artigen Versuches, mit dem ein smart house als Stellvertreter für die uns vereinnahmenden smarten Environments besetzt und wiederangeeignet, ihm zumindest etwas entgegengesetzt wurde.
Danksagungen
Wir danken Kai von Luck, Susanne Draheim, Tobias Eichler vom Living Place der HAW für ihre Gastfreundschaft. Oona Braaker und Jannik Leenen gilt Dank für ihre geduldige Arbeit an der Kamera. Anton Moosleitner danken wir für seine Filme. Allen Mitwirkenden sei für ihr Engagement und insbesondere Nishant Shah für seine konzeptuelle Beratung gedankt.