Mit dem Suchbegriff “digitale Kulturen” tritt die unhintergehbare Verwobenheit der gegenwärtigen Lebenswelt mit digital gestützten Technologien in den Blick. Als Kommunikations- und Distributionsmittel, als Repräsentations- und Wahrnehmungsmedien, als Technologien der Erfassung, Verrechnung und Beobachtung formen diese gleichermaßen Kultur wie sie durch Praktiken und Kulturtechniken geformt werden. Sie erzeugen mediale Gegenstände, für deren Zugang wiederum digitale Technologien erforderlich sind. In ihrer Prozessualität einerseits und ihrer Kopplung an Praktiken des Umgangs mit medialen Gegenständen andererseits lassen sie sich als produzierende, prozessierende und repräsentierende Methoden auffassen. Ohne digitale Methoden, so lässt sich schließen, ist weder die Produktion, noch der Umgang mit medialen Gegenständen möglich und schon gar nicht deren (medien-)wissenschaftliche Erschließung.
Erstens beinhaltet er einen engen Begriff von digitalen Methoden, welcher den Einsatz von digitalen Analysewerkzeugen bezeichnet, um sehr große, genuin digitale Datenbestände auszuwerten. Erst dadurch lassen sich Phänomene digitaler Medienkulturen erschließen, da deren Gegenstände sich nicht mehr durch eigenes Anschauen erschöpfen lassen. Sei es, weil die Massen eines Gegenstandes zu groß und wenig kanonisierbar sind – es gibt schlicht zu viele Videos auf Plattformen wie YouTube in erst dort entstandenen Genres wie z.B. ASMR auslösende Videos. Oder sei es, weil die erforderlichen Daten, um ein Phänomen aus forschender Distanz zu betrachten, weder erhältlich noch der menschlichen Wahrnehmung zugänglich sind – wie z.B. beim Twitter-Traffic im gesamten Internet.
Zweitens fragt der hier gedachte Begriff der digitalen Methoden danach, inwieweit die Herstellung und Zugänglichkeit von digital-medialen Gegenständen immer schon Methoden benötigt, die in digitale Technologien eingelassen sind. Deren Verfahren wären als digitale Methoden zu denken. Demnach würden mediale Gegenstände erst durch digitale Methoden im Sinne digital verfasster Produktion geschaffen und umgekehrt rezipierbar gemacht. So ist Social Media in gewisser Weise ein neuer Gegenstand, der ohne eine bestimmte technologische Infrastruktur und deren Funktionieren – vom Netzwerk bis zum mobilen Endgerät, vom Routing über die App bis zum Interface – nicht möglich wäre. Demnach wären die Prozesse, die Infrastruktur, Geräte und Vernetzung am Laufen halten, als Methoden zu verstehen, die Produktion und Rezeption medialer Gegenstände ermöglichen, stabilisieren und rahmen.
Drittens fragt unser Begriff der digitalen Methoden inwieweit die eigenen (wissenschaftlichen) Methoden schon durch das (digital-)medienkulturelle Milieu bestimmt sind. Wir arbeiten selbst bereits immer mit digitalen Methoden, z.B. mit Suchmaschinennutzung, Netzrecherchen oder Zitation von Onlinequellen.
Vor diesem Hintergrund entfaltet die Interviewserie “Talking about Digital Methods” diskursive Formationen zur gegenwärtigen Auseinandersetzung und gibt einen Einblick in die derzeitige Diskussion. ExpertInnen verschiedener Fachbereiche, wie z.B. Medien-, Sozial- und Kulturwissenschaften skizzieren ihr Verständnis von und ihre Haltung zu digitalen Methoden.
Anlass und Rahmen für die Interviews war der Workshop Reverse Engineering Digital Methods, veranstaltet von der AG Daten und Netzwerke der Gesellschaft für Medienwissenschaft. Im Zentrum der gemeinsamen Diskussion standen zwei Fallstudien aus dem Bereich der Twitterforschung und die daran anschließenden Fragen: Lässt sich und wie lässt sich eine spezifische Sozialität erfassen, die in der Nutzung von Twitter entsteht? Welche Rolle spielen dabei die digitalen Analysetools, mittels derer die Aktivitäten auf Twitter vermessen werden?
Anlass und Rahmen für die Interviews war der Workshop Reverse Engineering Digital Methods, veranstaltet von der AG Daten und Netzwerke der Gesellschaft für Medienwissenschaft. Im Zentrum der gemeinsamen Diskussion standen zwei Fallstudien aus dem Bereich der Twitterforschung und die daran anschließenden Fragen: Lässt sich und wie lässt sich eine spezifische Sozialität erfassen, die in der Nutzung von Twitter entsteht? Welche Rolle spielen dabei die digitalen Analysetools, mittels derer die Aktivitäten auf Twitter vermessen werden?
Carolin Gerlitz, Assistant Professor an der Universität Amsterdam und Mitglied der Digital Methods Initiative diskutierte die Arbeitsweisen und Grenzen digitaler Forschungsmethoden. Sie stellte dazu das Projekt ‘Detecting the Socials’ vor, das am Beispiel von Twitter-Daten untersucht, welche Formen von Sozialität durch die Nutzung sozialer Plattformen entstehen. Das Projekt nutzt das Twitter Analytics and Capture Toolkit (TCAT) der Digital Methods Initiative, ein open-source Tool, das Forschenden erlaubt, über die Twitter Streaming API Datensätzen zu erheben, zu archivieren und zu analysieren. Es bietet die Möglichkeit, diese Datensätze anhand unterschiedlicher Maße auszuwerten: z.B. Häufigkeiten von Postings zu bestimmen, Hashtags über die Aktivität einzelner Nutzer-Accounts, Netzwerkwerkanalysen von Hashtag-Beziehungen oder Nutzer-Interaktionen bis hin zu Co-Wortanalyse. Ziel des Projekts ist es zu zeigen, dass Sozialität von Plattformen zwar vorstrukturiert, aber erst durch unterschiedliche Nutzerpraktiken und -kulturen realisiert wird. Gleichermaßen werden die digitalen Methoden daraufhin befragt, inwieweit selbst die Sozialität hervorbringen, die sie zu untersuchen angetreten sind.
Johannes Paßmann stellte zwei Twitter-Datensätze zur Verfügung, die von den TeilnehmerInnen mittels der offenen Analyse- und Visualisierungssoftware Gephi erkundet wurden. Diese berechnet aus einer Menge von Datensätze einen Graph, dessen Knoten die Accounts repräsentieren und dessen Kanten unterschiedliche Eigenschaften oder Relationen darstellen können. Die so erzeugten Graphen können bezüglich typischer Netzwerkmaße wie Zentralität, Zusammenhangskomponenten oder PageRank ausgewertet werden. Gephi ermöglicht eine schnelle Visualisierung der gesammelten Daten, eine Art interaktive Beobachtung durch Zoomen, Einfärbungen von Kanten und Knoten u.a. und zielt auf den spielerischen Umgang mit der Repräsentation der Datensätze. Der operativ-spielerische Umgang mit den Visualisierungen ermöglicht – so das Versprechen – Einsichten in Phänomene von Medienkommunikation, die dem forschenden Individuum sonst nicht, oder nur durch hohen Aufwand und Expertise möglich wären.
Während des Workshops zeigten sich verschiedene Dimensionen der Diskussion, unterschiedliche Problemlagen und drängende Fragen, die sowohl während der Präsentationen und Diskussionen immer wieder thematisiert wurden als auch in einem einleitenden Werkstattgespräch. Als Stränge der Auseinandersetzung zeichneten sich ab: Digitale Methoden vs. Datamining; akademische Methoden vs. kommerzielle Methoden; die Zugänglichkeit der Daten und ihre Agency/Performativität in der Wissensproduktion; Neuheitsrhetorik vs. historische/genealogische Dimension; Evidenzpraktiken, Narration und Methodenreflektion; das Basteln und Bauen von Prototypen und deren mögliches Scheitern.
Interviews
Was also sind digitale Methoden? Welche Bedürfnisse und Fragen erzwingen digitale Methoden und welche Herausforderungen stellen sie derzeit an die eigene Disziplin? Die Interviewserie “Talking about Digital Methods” entfaltet einige Stränge der Auseinandersetzung um digitale Gegenstände und deren Erforschung. ExpertInnen aus unterschiedlichen Disziplinen beantworten in kurzen Interviews drei Kernfragen. Diese sind bewusst allgemein gehalten, um einerseits die je eigenen Zugänge der ForscherInnen integrieren zu können. Andererseits soll dadurch die Vergleichbarkeit der Interviews für die RezipientInnen erleichtert werden.
Die Fragen lauten:
- Was verstehen Sie unter digitalen Methoden?
- Welche Potentiale sehen Sie in digitalen Methoden?
- Welche Bedenken haben Sie gegenüber digitalen Methoden?