Martina Leeker, Oktober 2014
Die “Messe der Medien” wurde im Rahmen der Tagung “Medien der Wissenschaften” durchgeführt, die als Jahrestagung der Gesellschaft für Medienwissenschaft (GfM) im Oktober 2013 an der Leuphana Universität Lüneburg stattfand. Die Tagung wurde ausgerichtet vom Institut für Kultur und Ästhetik Digitaler Medien (ICAM) in Kooperation mit dem Centre for Digital Cultures (CDC) und der DFG-Kolleg-Forschergruppe Medienkulturen der Computersimulation (MECS) der Leuphana. Die Messe setzte bei der vor allem in den Medien- und Kulturwissenschaften sowie in den Science and Technology Studies (STS) vertretenen und mit dem Titel der Tagung aufgerufenen These an, dass Wissen und Forschung von der Reichweite sowie der technischen Verfasstheit ihrer Medien abhängen würden. Ob dieser Konstitution wird Medien im zeitgenössischen Diskurs der Status von “Aktanten” (PDF) verliehen, mit denen zu rechnen ist, geht es um die Erzeugung von Wissen, Kultur und Wirklichkeit. Diese Beschreibung und Logik führen zu Erklärungsmodellen, in denen soziale Ordnungen und Wissen aus lokal differenzierten Agenturen (Handlungsinitiative) unterschiedlicher und in Operationsketten verbundener Akteure (PDF) bzw. als Kooperation unterschiedlicher Beteiligter entstehen. Mit dieser Konzeptualisierung verändern sich zwangsläufig Vorstellungen von “Menschen” sowie von Dingen insofern grundlegend, als eigenwillige Dinge nicht mehr menschlichen Subjekten unterstehen und zuhanden sind. Diese verlieren vielmehr einen herausgehobenen Status und werden in operativen, d. h. funktionalen Handlungsketten integriert.
Die Messe sollte nun dieses Epistem der Medialität von Wissen sowie seine Verbandelung mit dem Diskurs zu symmetrischen Handlungsagenturen so erlebbar machen, dass seine subjektbildenden, epistemologischen und gouvernementalen Effekte deutlich werden konnten. Methode dies zu erreichen, war eine “Eulenspiegelei” im Sinne einer (negativen) Affirmation der aktuellen Diskurse durchzuführen, eine Methode, die auf Bazon Brock zurückgeht:
“Negative Affirmation: […] Bazon Brock [versteht] unter Affirmation nicht die 100%ige Bejahung eines Zustimmung fordernden Anspruchs, sondern die mittels 150%iger Ueberhoehung radikalisierte Formulierung dieses Anspruchs. Durch die Drastik der Bejahung wird die Sinnlosigkeit vieler Aussagenansprueche in ihrer Konsequenz deutlich. Es entsteht ein sog. Kippeffekt. Beispiel: der vielzitierte Dienst nach Vorschrift. Jede Organisation, die sich in jedem Punkt an ihr selbst auferlegtes Regelwerk haelt, kommt binnen kuerzester Zeit zum Erliegen.”
Für die “Messe der Medien” hieß das, die zeitgenössischen Theoreme zu Wissen, Forschung und Agentenschaft konsequent und pointiert ernst zu nehmen. Dies wurde umgesetzt, indem technischen Dingen ein eigener Raum für Performances zugestanden und ihre menschlichen Partner diesen ausgesetzt wurden. So trat ein blinder Roboter des Medienkünstlers Louis-Philippe Demers in Aktion. Er machte für die Besucher der Installation durch den Druck und damit die vermeintliche Intentionalität seiner Berührungen spürbar, was es bedeutet, wenn die Unterscheidung von technischen Dingen und Menschen als Teil der anthropologischen Identitätsbildung fragwürdig und damit eine gleichberechtigte Ko-Existenz denkbar würde. Zudem warf der Roboter die Frage auf, wie in einer symmetrischen anthropo-technischen Umwelt mit eingeschränkten technischen Partnern künftig zu verfahren sei. Walter Siegfried nahm in einem mit Gesang durchsetzten Vortrag die These ernst, dass Atmosphären, Emotionen und performative Elemente nicht nur Teil der Erzeugung von Wissen und Forschung seien, sondern diese erst konstituieren würden. Derart wurde deutlich spürbar, dass und wie Wissen und Forschung labil und prekär werden. Anhand von Lehrfilmen, die Experimente mit Erziehungsstilen nach Kurt Lewin (PDF) zeigen, sollte die Frage aufgeworfen werden, wie Experimente mit Menschen im Kontext einer Experimentalisierung von Wissen, Leben sowie im Kontext einer Degradierung von Subjektivität zu verorten seien. Die Medienkünstlerin Ursula Dammerprobte in einer Handlungsagentur bestehend aus Sensoren, Kabeln, Mikrophonen, Umwelt, menschlicher Akteurin sowie Strömungen und Resonanzen die Theorie zur zeitgenössischen techno-ökologischen Existenz am eigenen Körper. Irina Kaldrack spielte in einer erfundenen, affirmativen Geschichte über die Erfindung und Nutzung von Datenbrillen die Agentur von Brillen, Imagination, wirtschaftlichen Interessen, Begehren und Menschen ein. Jeremy Bernstein und Peter Berz ließen durch Formen des Creative Coding, in dem nicht mehr durch Coden programmiert, sondern vorgefertigte Module zu performativen Einheiten verbunden werden, Software zu einem Partner in Kontext einer Medienagentur werden. Peter Koval schließlich bot die Möglichkeit, auf einem eigenen “Spiel-Tisch” durch so genanntes Circuit Bending elektronisches Spielzeug kurzzuschließen und derart technische Dinge wie Dioden, Lötkolben, Platinen und Lämpchen zu kreativen und in ihrem Verhalten nicht vorhersagbaren Partnern zu machen. Mit diesem Teil der “Messe der Medien” sollte zudem ein Zugang zu einer kritischen Auseinandersetzung mit dem aktuellen Diskurs der Medialitäten und Agenturen angeboten werden. Mit dem Circuit Bending werden nämlich an den Rand gedrängte und verschüttete Aspekte deutlich, wie z. B. eine mögliche Genese der Techno-Ökologien, Agenturen und Kooperationen aus animistischen Traditionen der Medienästhetiken der 1960er Jahre. In diesen Zeiten schwangen Menschen und technische Dinge bereits in geheimnisvollen Resonanzen, was die Entwicklung, Verbreitung und Akzeptanz ubiquitärer sozio-technischer Systeme erheblich förderte.
Wird die Handlungsmacht auf technische Dinge und kontingente Konstellationen wie Laborräume oder “Natur” übertragen und das Epistem von der Medialität des Wissens vorausgesetzt, dann werden Wissen und Forschung selbst prekär und in höchstem Grade unsicher. Ein auffälliger Effekt der “Messe der Medien” in diesem Vorgang war, dass durch die Irritation der Grenzen zwischen Wahrheit oder Richtigkeit und Fake sowie mit den Performances der Dinge paranoide Befürchtungen aufkamen. Diese Wendung wurde erkannt und noch während der Durchführung der “Messe der Medien” in Gesprächen aufgenommen und vertieft. Ursula Damm, Irina Kaldrack und Walter Siegfried setzten sich mit “Wissen durch Methoden der Irriation” auseinander und Marie-Luise Angerer und Ute Holl reflektieren in ihrer Diskusion “Paranoia” über deren Stellenwert als Erkenntnisform in digitalen Kulturen. Ein Forschungsergebnis aus der “Messe der Medien” ist mithin, dass mit der Medialität und Kooperativität von Wissen und Forschung eine paranoide Gestimmtheit zur Grundlage von Wissen sowie zu einer gouvernementalen Konstellation wird. Eine paranoide Erkenntnishaltung oder Epistemologie bedeutet, dass da, wo Wirklichkeit und Wahrheit abhanden kommen, ein Geflecht von sich gegenseitig ergänzenden Vermutungen zur Bezugsgröße von Richtigkeit wird. Eine paranoide Epistemologie ist zudem insofern eine Form der Regulierung (PDF), als sie Menschen in einen dauerhaften Zustand der Alarmbereitschaft versetzt, in dem sie sich in Vermutungen und Kombinationen verausgaben. In der “Messe der Medien” wurde mithin auch deutlich, dass ästhetische Praxen als Forschungsmethoden hilfreich sind, um Erkenntnisse zu erschließen, die ohne sie nicht möglich gewesen wären.
Es geht und ging nicht darum, die Veränderungen in der Konstitution von Wissen und Forschung oder der Position des Menschen zu unterlaufen und “alte” Zustände zurückholen zu wollen, die selbst nur Effekte von Technologien und Diskursen waren. Aufgabe der „Messe der Medien“ war es vielmehr, Distanz zur aktuellen Diskurslandschaft von Medialitäten, Agenturen und Kooperationen zu schaffen, um sie auf ihre epistemologischen und gouvernementalen, mithin ihre politischen Effekte hin zu befragen. Denn auch auch aktuelle Theoriebildungen sind historische Erscheinung, die ihren Grund in technologischen Bedingungen sowie in der Reaktion auf diese haben. Aus dieser Perspektive wären die aktuellen Bemühungen so zu verstehen, dass in einer neu entstandenen Situation dringlich werdende Neu-Beschreibung von Mensch und Kultur vorgenommen werden. Bevor Wissen, Mensch und Forschung in technologischen Umwelten neu gesehen werden, sollte allerdings experimentell und interventionistisch getestet werden, was die neue Sicht bedeutet. Erkenntnisse aus solchen Tests könnten Hinweise auf nötige Korrekturen in den aktuellen medienanthropologischen und wissenstheoretischen Diskursen geben.
Es lässt sich nicht verhehlen, dass in digitalen Kulturen, d. h. in hochgradig vernetzten Infrastrukturen, technische Dinge und Menschen einen sozio-technischen Kontext bilden. Eine exemplarische Auflistung aus einem aktuellen Forschungsprojekt zu “Medien der kollektiven Intelligenz” beschreibt diesen Konnex:
“Kollektive Intelligenz ist als fragiler und ständig neu zu konstituierender (Koch 2009: 13) Prozess der Kooperation zu präzisieren, der sich nicht nur zwischen menschlichen Akteuren, z.B. in literarischen Freundschaftsbünden, sondern auch zwischen Menschen und Nicht-Menschen, z.B. zwischen Menschen und Kameras, Menschen und Computerprogrammen (Coy/Pias 2009) oder in Interaktionen nicht-menschlicher Akteure vollziehen kann, etwa in der Verteilung eines Programmiercodes auf unterschiedliche Software-Agenten. (Knorr Cetina 1998; Rheinberger 2001; Rammert/Schulz-Schaeffer 2002; Daston 2004) Dies bedeutet eine Fokussierung auf Praktiken oder Operationsketten (Schüttpelz 2008) der Kollaboration bzw. auf die Verkettungen unterschiedlicher Mittler (Schüttpelz 2010: 29). Anstatt von einer Auflösung von Raum und Zeit in einem ‘globalen Dorf’ einer ‘Netzwerkgesellschaft’ auszugehen, die zu einer ‘globalen Echtzeit’ synchronisiert ist, richtet sich das wissenschaftliche Netzwerk [gemeint ist das Forschungsprojekt, M.L.] auf die konkrete mediale Vermittlungsarbeit kollektiver Intelligenz – gerade in ihrer Orts- und Situationsbezogenheit. Ziel ist es, die utopischen Entwürfe kollektiver Intelligenz kritisch zu beleuchten, indem alle Akteure in den Praktiken der Kooperation systematisch untersucht werden.”
Von Interesse für die “Messe der Medien” war nun aber nicht die konkrete Ausbuchstabierung unterschiedlicher Modelle dieses generellen Zugangs. In den Fokus rückte vielmehr die Tatsache, dass seit Ende der 1990er Jahre eine Wende hin zu Modellen der Kooperation zwischen unterschiedlichsten Bestandteilen, darunter der Mensch, stattgefunden hat. Nachdem mit der so genannten Akteur-Netzwerk-Theorie (PDF) in den 1990er Jahren die Idee von Handlungsagenturen aufkam und seit den 2000er Jahren in der Medienwissenschaft adaptiert (PDF) wurde, ist eine Welle der Modellierung von Bezugskonstellationen in technischen Umwelten losgetreten worden. Der jüngste Entwurf einer Theorie der Kooperationen (PDF) versucht der eher global angelegten Theorie der Netzwerke und Handlungsgemeinschaften einen bescheidenen, lokalen Bezugsrahmen entgegenzusetzen. Es kommen zudem so genannte techno-ökologische Theorien ins Spiel, die in der Tradition von Simondon auf die unhintergehbare technologische Existenz des Menschen verweisen. Sie entwickeln neue Vorstellungen von Partizipation und Sinngebung, die sich in Anlehnung an Whitehead aus vorbewussten Sensationen und medientechnischen Resonanzen konstituieren.
Ohne die technologischen und diskurshistorischen Bedingungen sowie die Entwicklungen dieser Modellierungen detailliert zu analysieren, soll erwogen werden, warum diese Modelle so wichtig wurden und sind. These dazu ist, dass diese Modellierungen einer Notlage geschuldet sind, die durch technische und kybernetische Entwicklungen und Transformationen (PDF) seit den 1950er Jahren entstand und den Menschen von einem zentralen Platz verwies. Seither konstituieren sich technische Umwelten in der Tat als alles durchsetzende sozio-technische Infrastrukturen, in denen Menschen im Netzwerk der Datenverwaltungen zum integralen, selbst-regulierenden Bestandteil wird. Werden die Kooperationsmodelle in diesen Kontext gestellt, dann wird auffällig, dass Menschen mit ihnen auf unterschiedliche Arten in die technischen Strukturen und Systeme wieder eingeschrieben werden. Dabei ist die Diversität der Modelle Garant dafür, eine lückelose Einschreibung zu ermöglichen und etwaig auftretende Degradierungen des Menschen zum Datengeber auszublenden, wie sie u. a. von Antoinette Rouvroy, Orit Halpern (PDF) oder David Berry beschrieben werden. In der “Messe der Medien” sollten diese verdrängten, aber immer möglichen Sichtweisen, nämlich die verdrängte Genese sowie die verdrängte Realpolitik als Reflexionshorizont eingespielt werden.
“Nietzsche philosophierte auf die gleiche Weise und in gleichem Sinne, was Eulenspiegel und die anderen Narren demonstrierten: Es ist die Theorie von der Symptomverordnung als Therapie – oder die Theorie der affirmativen Praxis. Ihr zufolge hebt sich jeder radikalisierte Aussagenanspruch aus sich selbst heraus auf; also gilt es, die mit Verweis auf Wahrheitsansprüche sich rechtfertigende Macht zu brechen, indem man diesen Anspruch bis zu seiner letzten Konsequenz vorantreibt.”
Entscheidend ist mithin die präzise Technik der negativen Affirmation, denn, so das Poeticon Net:
“Künstlerisch interessant wird das Affirmieren allerdings erst dann, wenn das Wiederholen oder Kopieren mit einer ihrerseits produktiv werdenden minimalen Abweichung erfolgt. Solche künstlerischen Verfahren sind unter der Bezeichnung ‘subversive Affirmation’, ‘negative Affirmation’, ‘Überidentifizierung’ oder ‘Revolution des Ja’ bekannt geworden. Subversives Affirmieren bezeichnet ein Verfahren, besser eine künstlerische Taktik, die es Schriftstellern und Künstlern erlaubt, an einem bestimmten künstlerischen, gesellschaftlichen, politischen oder ökonomischen Diskurs teilzunehmen, ihn zu bestätigen, ihn sich anzueignen oder zu konsumieren und dabei gleichzeitig zu unterwandern. […] Um subversiv affirmieren zu können, ist immer ein Erforschen der jeweiligen Folie nötig. Wenn etwas in seinem Funktionieren entblößt werden soll, muss man in der Lage sein, dieses Funktionieren in all seinen Nuancen zu verstehen und zu kopieren. Für die Betrachter, Zuschauer oder Teilnehmer soll es darum gehen, mit dem Effekt einer doppelten und in sich widersprüchlichen Rezeption konfrontiert zu werden, mit dem Erleben einer Situation und der Möglichkeit, das Genießen, Bejahen oder Bestätigen der Situation gleichzeitig oder im Nachhinein zu reflektieren oder gar abzulehnen. Die Gefahr und auch der Reiz subversiver Affirmation besteht darin, dass sie als solche nicht erkannt wird, sondern – ohne jegliche Auflösung – als bloße Nachahmung rezipiert wird.”
Mit dieser Methode sollte zugleich ontologisierenden Tendenzen in der aktuellen medienwissenschaftlichen Diskurslandschaft entgegengewirkt werden, mit denen diese statt als Erzeugung von Wirklichkeit anerkannt zu werden, als deren Beschreibung genommen wird. Bazon Brock schreibt bezogen auf die Methode der negativen Affirmation:
“Im Kern läuft diese Theorie darauf hinaus, daß menschliches Tun in der Welt nur dann gerechtfertigt ist, wenn es so weit als möglich auf Widerruf angelegt ist; wenn die Resultate menschlichen Handelns von vornherein in ihrem unumgänglichen Ruinencharakter gekennzeichnet werden, das heißt, als unaufhebbare Differenz zwischen Anschauung und Begriff, Sprache und Denken, Plan und Realisierung.”
In der diskursanalytischen Ästhetik wird auf Ästhetik als Bereich des Sinnlichen (Aisthesis) Bezug genommen. Die Betonung der Aisthesis korrespondiert mit Jacques Rancières Politik des Ästhetischen, die darin besteht, dass, so auch Timon Beyes (PDF), durch Verschiebungen in der Ordnung des Sinnlichen Machtverhältnisse unterminiert und andere Konfigurationen in Sichtweite geraten und damit erst denkbar werden können. Als diskursanalytische Ästhetik ging es der “Messe der Medien” nun vor allem darum, aus einer medienwissenschaftlich informierten Forschung sowie mit Hilfe ästhetischer Methoden bestehende Wissens-Ordnungen zu erkennen und bei der Neuformulierung Vorsicht walten zu lassen, um nicht unbesehen neue Formierungen von Macht zu etablieren. Die “Messe der Medien” war mithin diskursanalytische, praktisch-aisthetische Forschung mit, so Nina Wakeford und Celia Lury, “inventiven Methoden” (PDF). Es gibt jedoch einen Unterschied zwischen inventiven Methoden und dezidiert diskursanalytischer Ästhetik. Bei der Nutzung und Erfindung ersterer wird nämlich davon ausgegange, dass sich zum einen soziale Wirklichkeiten derart diversifiziert haben, dass neue Methoden gefunden werden müssen, sie zu erfassen, und zum anderen Methoden zugleich als Generator von Ergebnissen kritisch zu sehen seien. In der diskursanalytischen Ästhetik liegt der Schwerpunkt vor allem bei der letztgenannten Dekonstruktion und Sichtbarmachung. Dies liegt daran, dass mit der Behauptung, eine Diversität von Wirklichkeiten und Methoden läge vor, letztere sich zum Bestandteil einer Ontologisierung einer bestimmten Wirklichkeit machen, statt diese zu untersuchen.
Sybille Peters entwickelt einen der diskursanalytischen Ästhetik ähnlichen Zugang aus dem Bereich der künstlerischen Forschung, wenn sie darauf verweist, dass und wie die performative Seite von Vorträge (PDF) vor allem ein Mittel der Regierung und Kontrolle ist.
“Man kann fragen, ob das Subjekt im Zuge solcher Akte forschenden Lernens nun seinerseits ‘Untertan’ wird und wenn ja, dann in welcher Weise. Zweifellos: Wo forschendes Lernen gefordert ist, wird Eigenaktivität gesteuert und konditioniert. Die entsprechenden Settings erscheinen damit als Inbegriff dessen, was heute unter dem Stichwort ‚Gouvernementalität’ diskutiert wird: Gemeint sind Formen des Regierens, die nicht über äußeren Druck wirken, sondern bereits im Bezug des Individuums zu sich selbst ansetzen. Forschendes Lernen stünde demnach mit vielen anderen Spielarten des Selbstmanagements und der Eigenverantwortung in einem Zusammenhang: Das alte Dispositiv der Disziplinierung wird abgelöst und durch ‘Techniken des Selbst’ ersetzt.”
Gleichwohl unterscheiden sich die Methoden der “Messe der Medien” da von Konzept und Anliegen der so genannten künstlerischen Forschung (PDF), wo in dieser stillschweigend vorausgesetzt wird, dass es um ein Forschen (PDF) ginge, das den rationalen Verfahrensweisen akademischer Forschung ein anderes Wissen entgegensetze. Eine solche Beschreibung wäre diskursanalytischer Ästhetik verdächtig, denn diese Unterscheidung ist selbst als ein Diskurs anzusehen, der Wissensordnungen schafft, indem z. B. Unübersichtliches oder Unvorhersehbares ausgesondert bzw. erst erzeugt wird. Werden ästhetische Verfahrensweisen in der wissenschaftlichen Arbeit genutzt, dann ist in Anlehnung an Joseph Vogls “Poetologie des Wissens” (PDF) vielmehr davon auszugehen, dass Episteme, Wissensmuster, sowohl in der Wissenschaft als auch in der Kunst auftauchen und bearbeitet werden. Zudem ist die Rede vom anderen Wissen nicht aufrechtzuerhalten, da nach Vogl Kunst und Wissenschaft insofern auf einem Register spielen, als sich Wissen aus Darstellungsformen konstituiert.
Eine diskursanalytische Ästhetik geht mithin von einer Diskursanalyse aus und nutzt dann künstlerische bzw. ästhetische Verfahrenweisen als Methoden, mit der “Etwas” sichtbar gemacht und zugleich verschoben werden kann, so dass andere Weisen z. B. der Organisation von Wissen und Kultur denkbar werden.
Entscheidend ist dabei, dass die diskursanalytische Ästhetik auf einer wissenschaftlichen Analyse beruht, zu der auch und vor allem eine wissens- und technikgeschichtliche Rekonstruktion ihrer eigenen Verfahrensweisen gehört. So zeigte Wolfgang Hagen auf der Tagung “Medien der Wissenschaften” in seinem Vortrag (PDF), dass und wie Bildmedien, mithin ästhetische Verfahrensweisen, in der frühen Neuzeit ein probates Kampfmittel waren, um mögliche Liberalisierungen von Wissen, die durch den Buchdruck ausgelöst worden waren, zu unterwandern. Zugleich sollten sie alte Wissensformen des Erinnerns mit Hilfe von Bildern auf Spielkarten erhalten. Würden solche Untersuchungen nicht beachtet, könnte sich der Mythos vom Anderen der Kunst unbesehen erhalten und z. B. den vermeintlichen, apriorischen Vorteil ästhetischer vor anderer Bildung weiterhin behaupten.
Für die “Messe” wurden nun solche Ansätze in der zeitgenössischen medienwissenschaftlichen Forschung angesteuert, die, neben der Medialität von Wissen, Modelle zu einer symmetrischen Kooperation in technischen Umwelten entfalten und Dingen eine eigene Handlungsmacht zu- und damit Menschen eine besondere Rolle absprechen. Sie als Diskurse zu bezeichnen bedeutet, dass sie nicht als Beschreibungen der Wirklichkeit angesehen werden, sondern vielmehr ihre Auswirkungen auf Wissen, Subjektbildung und Regierbarkeit zu erfassen sind. Es galt zu den unterschiedlichen Diskursen angemessene praktisch-künstlerische, hier negative Affirmationen zu finden, die es ermöglichten, die diskursiven Effekte herauszustellen. Die “Messe” sollte ein Environment bilden, das mit einer eigenen Logik auf die aktuelle Diskurslage einging. Es wurden drei Eckpfeiler ausgemacht, auf die eingegangen werden sollte.
Wenn (1) Wissen allein medial bedingt ist, dann stellt sich zum einen die Frage, wie Wissenschaft und Forschung mit dieser selbst geschaffenen Unterminierung ihrer Existenz umgehen. Zum anderen ist von Interesse, was das Konzept von der medialen Konstitution für das Selbstverständnis der Forschenden sowie, weiterhin, des Menschen bedeuten könnte. Um diese Fragen mit der Methode der Affirmation des Diskurses von der Medialität von Wissen zu untersuchen, sollte die Tagung mit solchen Vorträgen durchsetzt werden, die entweder die Darstellungsweise als Konstitution von Wissen betonen (Walter Siegfried, Ursula Damm) oder aber auf unrichtigen Aussagen aufbauten (Irina Kaldrack), mithin Fake(PDF) waren. Für methodische Erwägungen sind dabei die diskurskritischen Potenziale des Fake von Interesse. Dieser ist nämlich nicht auf eine Aufrechterhaltung der Lüge, sondern vielmehr auf Enttarnung angelegt und folgt, um diese sicherzustellen, einer Dramaturgie der Hinweise. Im Zuge der Dechiffrierung wird deshalb umgekehrt auch deutlich, welchen Strategien und Diskurse der Bewahrheitung Wissenschaft und Forschung folgen. Mithin ist der Fake eine erkenntnisstiftende und diskursanalytische Methode, da er Einsicht in Wissensordnungen gibt und zugleich in diese interveniert. In den Beiträgen zur “Messe” wurde diese Dramaturgie des Fake sowie der affirmativen Vortragsperformance in unterschiedlicher Weise umgesetzt. Walter Siegfried hielt einen Vortrag, der mit Gesang durchsetzt war. Was zunächst als wissenschaftlicher Input zur Konstitution des Raums durch tänzerische Bewegung erschien, löste durch die Gesänge zunehmend Verwirrung aus. Diese passten sich zwar inhaltlich den Teilen des Vortrags an, denen sie zugeordnet waren. Das Ausführen von Gesängen stellte jedoch die Wissenschaftlichkeit der Darbietung in Frage, da Gesang nicht zum Repertoire der Darstellungsformen in einem medienwissenschaftlichen Vortrag zählt. Die Gesänge brachten zum einen Inhalte ein, die ungeahnte Assoziationen ermöglichten. Zum anderen sprachen sie Ebenen der Wahrnehmung an, die allein durch gesprochene Sprache nicht aufgerufen würden. Entscheidend war im Event der “Messe”, dass die real von Walter Siegfried durchgeführte und vorgestellte Forschungsarbeit am Institut für Verhaltsforschung in Seewiesen durch die Darstellungsform an Glaubwürdigkeit verlor. Das heißt, im System der Wissenschaft und Forschung ist der Ausschluss von Darstellungsweisen Garant für ihre Seriosität und Richtigkeit. Der Diskurs der Medialität führt mithin seine eigenen Regeln mit sich, mit dem deren Eigendynamik kontrolliert wird. Walter Siegfried unternahm zudem während der Tagung drei Spaziergänge mit situativen Gesängen auf dem Campus, die aufgezeichnet und noch im Verlauf der Veranstaltung als fertige Videos gezeigt wurden. Es entstand ein Ensemble von Irritationen, die über den Indikator “Gesang” zusammengehalten wurden. Während der Vortrag zeigte, was die Wissensordnung “Wissenschaft” als solche zulässt, eröffneten die Gesänge einen Raum der Schichtungen von Wirklichkeiten. Indem Walter Siegfried in den Gesängen nämlich Orte mit Liedern überzieht, werden an diesen im performativen Herausstellen Aspekte wahrnehmbar, die ansonsten unsichtbar sind. Walter Siegfried sang in der Mensa beim Konferenz-Mittagessen, in einem Laubengang auf dem Campusgelände, der das ehemalige militärische Gelände ziert, sowie vor der viel diskutierten Baustelle des neuen Zentralgebäudes der Universität. Durch diese Kombination, in der der von Ausschluss aus der Wissensordnung mit der Öffnung von ungeahnten Schichten der Wirklichkeit verknüpft wurde, verwiesen die performativen Inputs zum einen darauf, dass Grenzziehungen willkürlich und kontingent sind. Zum anderen zeigten sie, dass sich Wissenschaft vor allem aus einem Ordnungssystem konstituiert, das die Rede von der Medialität des Wissens zwar mit sich führt, diese aber in ihrer Materialität ausblendet. Der Medialität von Wissen ist mithin eine eigene Wissensordnung als generatives Moment sowie als kontrollierende Instanz über Wissen zur Seite gestellt. Auch das Projekt Mockular von Irina Kaldrack operierte mit dem diskursanalytischen Potenzial von Fake. Die Protagonistin wurde in einem fiktiven, auf Video aufgezeichneten Interview nach ihrer Arbeit an der Entwicklung von Datenbrillen befragt. Die Inszenierung des Interviews war darauf angelegt, dass ob der leicht und kaum konkret benennbaren, übertriebenen Beschreibungen Zweifel an diesen entstanden und aufrechterhalten blieben. Die Beschreibungen der Funktionalität der Brille und sowie die ihrer Entwicklung und Herstellung waren zu unwahrscheinlich. Die Mischung aus Affirmation und Übertreibung wurde mithin zu einem Erkenntnis stiftenden Vorgang. Ursula Damm zeigte im Format einer Installation eine auf Video aufgezeichnete Performance, in der sie sich über Kabel und Sensoren an eine vermeintlich elektromagnetisch aufgeladene Umwelt anschloss, um deren Nachrichten zu empfangen. In diesem Beitrag wurde die Methode der affirmativen Ironie genutzt und die Verwobenheit von Mensch und technischer Umwelt wortwörtlich genommen und auf die Spitze getrieben. Dabei wurden die Diskurse von der Medialität des Wissens sowie der Handlungsagenturen in der konkret erlebbaren, ironisch überzogenen Umsetzung fragwürdig.
Diese Dramaturgie des Fake zeigte bereits im Vorfeld der Organisation der “Messe der Medien” ihre Wirkung. Symptomatisch dafür ist, dass einige Panels sich schwer taten, die fakenden Spiegel zu integrieren. Aus diesem Grund wurde das ursprüngliche Konzept modifiziert, und die Arbeiten von Ursula Damm und Irina Kaldrack nicht, wie geplant, verdeckt in die Tagung eingeschleust, sondern in einem separaten Raum als Videoinstallation gezeigt. Allein der Vortrag von Walter Siegfried konnte in einem Panel “auftreten”. Die gewünschte Integration der interventionistischen und performativen Vorträge führte im Vorfeld der Organisation der “Messe der Medien” zu der Mutmaßung, dass deren Einschleusung einen Abklatsch der Sokal-Affäre inszenieren wolle, also einen “Wissenschafts-Hoax” zum Zwecke der Bloßstellung geisteswissenschaftlicher Forschung. Dieser Vergleich verkennt allerdings Konzept und Wirkung der “Messe”. Während es nämlich in der Sokal-Affäre um eine Verunglimpfung von Geisteswissenschaft ging, sollte mit der “Messe der Medien” eine wissenschaftliche Untersuchung zu den wissenschaftlichen Wahrheitsdiskursen in digitalen Kulturen unternommen werden. Die abwehrenden Reaktionen sind mithin von aller größtem Interesse, deuten sie doch auf eine Krise von Wissen und Forschung hin, die durch den Diskurs zur Medialität von Wissen ausgelöst werden könnte, aber gleichwohl unerkannt bleibt und an den Rand gedrängt wird. Durch diese Vorgänge zeitigte die “Messe der Medien” mithin im Laufe der Planung und Durchführung ein eigenes Forschungsergebnis, das ohne die Veranstaltung und ihre Interventionen nicht aufgekommen wäre. Paranoia konnte hier nämlich als integraler Bestandteil von Wissen und Forschung ermittelt werden. Es wird also nicht so einfach weggesteckt, dass die diskursiven Mittel zur Unterscheidung von Wissen und Nicht-Wissen, von wahr und falsch gerade unter dem Epistem der Medialität von Wissen sowie der technologischen Konstitution digitaler Kulturen in der Simulation bedroht sind. Während der “Messe der Medien” wurden die Entdeckungen zur paranoiden Lage des Wissens in digitalen Kulturen aufgenommen und vertieft. In einem Gespräch erkundeten Walter Siegfried, Ursula Damm sowie Irina Kaldrack Dramaturgien und Effekte von künstlerischen Methoden wie Irritation und Fake. Ute Holl und Marie-Luise Angerer vertieften die These, dass Paranoia ein konstitutiver Bestandteil gerade medienwissenschaftlicher Forschung und insbesondere ihrer aktuellen Lage sein könnte.
Ein weitere Gruppe von Interventionen setzte (2) am Diskurs der Agenturen an und erzeugte Handlungsgemeinschaften von Menschen und technischen Dingen. Zu dieser Gruppe zählen der blinde Roboter, das Circuit Bending sowie das Creative Coding (von dem keine Dokumentation aus der “Messe der Medien” vorliegt). Hier war das Ziel, unterschiedliche Ebenen der Agenturen zu affirmieren. Aufgenommen wurde (a) die Erzeugung neuer Vorstellungen von Menschen, die mit dem Konzept der Agenturen verhandelt werden. Es scheinen dabei neue Einstellungen auf, die radikaler sind als die simple Übersetzung von dem Menschen zugeordneten Fähigkeiten wie Bewusstsein, Gefühle, Intelligenz auf technische Dinge oder Tiere. Mit diesem Vorgang würden, so Lorenz Engell und Bernhard Siegert, die genannten Fähigkeiten auf Operationen herunter gebrochen und dabei kybernetische Fantasien fortgesetzt und die Vielheit der Beziehungen und Qualitäten zwischen Menschen und Dingen ausgeblendet. Was wäre, so wäre mit Engell und Siegert zu fragen, wenn eine radikale “Medienanthropologie” einsetzen würde. Wie diese so aussehen könnte, dass “dem Menschen” tradierte Bodenhaftung und Verortung verloren gingen, skizzieren Lorenz Engell und Bernhard Siegert:
“Es stirbt, es wird geboren, es lacht, es weint, es liebt. Die prozessuale Beschaffenheit dieses ‘es’ zu erforschen als ein Quasi-Objekt im Sinne von Michel Serres, das in einer endlosen Dezentrierungsbewegung zwischen verschiedenen Instanzen zirkuliert, denen es wechselweise menschliche oder nichtmenschliche Agency zukommen lässt, gehört zu den zentralen Anliegen einer medialen Anthropologie. […] Am Ende zeichnet sich die Notwendigkeit einer überhaupt auf Operationen der Verstrickung und Trennung, der Bündelung und Entflechtung gegründete Medienanthropologie ab, die, statt von der immer schon gegebenen Unterscheidbarkeit von Mensch und Medium auszugehen, ihre gemischte, gemeinsame und nur gemeinsam mögliche und wirkliche Operativität erforscht.”
An dieser radikalen Anthropologie sollte die Interaktion mit dem blinden Roboter von Louis-Philippe Demers ansetzen. Die Ausgangsthese dafür, den Roboter in eine Tagung über die Medien der Wissenschaften zu schleusen, war, dass die Theorien von den Agenturen bisher nicht radikal genug seien und dass erst Performances mit technischen Dingen bei der nötigen Zuspitzung des Kooperativen sowie der Überwindung des Anthropozentrischen helfen könnten. Auch wenn gerade in der Interaktion mit Robotern weiterhin alte Trennlinien zwischen Mensch und Technik erhalten blieben, so könne die aktuelle Diskurslage für eine Um-Orientierung zu Hilfe kommen. Denn mit ihr erwacht eine neue Sensibilität für Dinge und Umwelten, so dass in der Interaktion mit der Maschine nicht mehr wie bisher Anthropozentrierung und Anthropomorphisierung als Rezeptionshaltung akut werden. In der Tat erschienen die Operationen des Roboters wegen des expliziten “Nach-Drucks” seiner Berühungen als Eigenleben technischer Dinge, mit denen man kooperativ agieren könne, da sie deutlich das eigene Verhalten und Empfinden beeinflussen. Im Austausch mit dem Roboter, der mit seinen Fingern auf die Menschen drückt, werden so tradierte Grenzenziehungen zu den “Dingen” überschritten. Es entsteht ein verwirrender und grenzenloser Rausch der Sensationen. Zugleich aber bleiben tradierte Muster einer auf Grenzen ziehenden Bezugnahme von Mensch und Technik erhalten. Mit dieser Methode, die aus der Affirmation des aktuellen Diskurses sowie aus deren Reibung an alten Gewohnheiten bestand, sollte durch den Kontakt mit dem blinden Roboter auf der “Messe der Medien” eine Kippsituation hergestellt werden. In dieser sollte vor allem deutlich werden, dass Medienanthropologien historisch bedingt sind und je eine eigene Art der Subjektivierung mit sich führen, also auch die radikal medienanthropologischen, kybernetologischen und techno-ökologischen Versionen. Einmal mehr wurde aber in der diskursästhetischen Recherche eine ihr eigene Erkenntnis möglich, nämlich der Einblick darin, dass Performances und Erleben nicht a priori sind, sondern vielmehr auch von diskursiven Beschreibungen abhängen.
Mit dem (b) Circuit Bending von Peter Kovalwurde eine Seite aufgerufen, die in der Rede über Agenturen verdrängt, aber gleichwohl eingespielt wird. Im Circuit Bending werden Schaltkreise elektronischer Geräte kurzgeschlossen und auf diese Weise ungewöhnte und nicht vorhersehbare Klänge erzeugt. Als Erfinder gilt Reed Ghazala, der in den 1960er Jahren die geheimnisvollen Sounds (PDF) entdeckte und in den Stand kreativer Events erhob. Ein kundiger Schreiber auf Wikipedia ordnet Circuit Bending den mystischen Klängen psychedelischer Musik der 1960er Jahre zu, wenn er notiert:
“In dem populären Video What is Circuit Bending? beschreiben Künstler Circuit bending als ‘Parallele Welten innerhalb von Schaltkreisen, welche eigentlich gar nicht existieren sollten, aber sie sind da’, … ‘eine explosive psychedelische surreale Welt des Klangs.’ Diese Ansichten suggerieren, dass die erreichten Klänge als verstecktes Potential in jedem Schaltkreis vorhanden sind, und es die Aufgabe des Circuit bending sei, diese zu erkunden und das Potential eines Gerätes durch Experimente zu erschließen.”
Ghazala selbst beschreibt sich als:
“Another term coined by Reed is BEAsape which means BioElectronicAudiosapien. When body contacts are used, the body of the performer is used as a capacitor – there is a fusion between man and machine into one purpose which Reed says is something new zoologically and musically.”
Mit Circuit Bending sollten vor diesem Hintergrund auf der “Messe der Medien” mögliche Aspekte einer Genese aktueller Agentur- und Kooperationstheorien angedeutet werden, denen es nachzugehen gälte. In den 1960er Jahren wurden nämlich in der Bewegung “Art and Technology” (PDF) in Performances und Musik Mensch und Maschine in bedenklicher Weise kurzgeschlossen. Sie sollten zusammen schwingen und in diesen Resonanzen zu übersinnlichen Erlebnissen gelangen, die sie zu einem medien-environmentalen Sein führen sollten. Fred Turner und Martina Leeker haben darauf aufmerksam gemacht, dass hier kybernetische Theorien und animistische, teils aus spiritistischen Dunstkreisen kommende Vorstellungen konvergieren. Es wäre zu fragen, wie sich die aktuellen Diskurse vom Techno-Ökologismus sowie von einer radikalen Medienanthropologie, in der sich technisches Sein in Beziehung und Verflechtungen auflöst, zu dieser Vor-Geschichte verhalten. Es scheint bereits in den 1960er Jahren um eine Dezentrierung des Menschen zum Zwecke seiner Integration in eine hochsensible Umwelt gegangen zu sein. Beide Male kamen diese Ideen auf, als sich Infrastrukturen und automatische Datenverwaltung, vom Systems Engineering bis zum ubiquitären algorithmischen Gouvernement, übermäßig ausdehnten und alles “Mögliche” vom Menschen aufnehmen konnten. Es geht mithin um eine Geschichte der Affizierung und Affizierbarkeit und der Kulturtechniken, mit denen diese hergestellt und bewältigt wird, in Gestalt von Diskursen, Kunst, Performances, Medien, Gadgets, usf.
Schließlich wurden (3) mit Hilfe von Filmen aus dem Dunstkreis des Gestalt- und Managementpsychologen Kurt Lewin, die Experimente mit Kindern zeigen, auf der “Messe der Medien” Diskurse zur Medialität des Wissens und Agentur-Diskurse auf eine ethische und politische Frage hin zugespitzt. Es wurde gefragt, ob aus der Dezentrierung des Menschen sowie der Relativierung von Wissen eine Ekstase der Experimentalisierung der Existenz entstehen könnte. Wenn dem so wäre, dann stellt sich die Frage, wie man sich zu dieser, zu sich selbst sowie zu Tieren oder technischen Dingen verhält. Die beiden Filme zeigen je Erziehungsstile nach Kurt Lewin. Es wird ein sozialpsychologischer Versuch wiederholt, den Kurt Lewin Ende der dreißiger Jahre unternahm. Eine Erzieherin arbeitet mit drei Gruppen von Kindern, die mit Knete spielen. In jeder Gruppe wendet sie einen anderen Erziehungsstil an: autoritär, Laissez-faire, kooperativ. Die im autoritären Stil betreuten Kinder müssen Eier kneten, während die kooperativ behandelten Kinder bei der Umsetzung eigener Ideen unterstützt werden und die Kinder bei “Laissez-faire” auf sich alleine gestellt den Raum in ein buntes Chaos verwandeln und sich schließlich in Prügeleien ergehen. Die Betrachter_innen können die eklatanten Unterschiede beobachten, die die unterschiedlichen Stile in Subjektbildung und Sozialverhalten auslösen sollen. Am Ende des Versuches werden die Kinder nach ihrem Befinden befragt. Die “richtig”, d. h. kooperativ betreuten Kinder strotzen von Selbstvertrauen und zeigen eine optimistische Sicht auf ihre Leistungsfähigkeit und schätzen die Erzieherin. Die autoritär behandelten Kinder wirken dagegen eingeschüchtert und niedergeschlagen. Mit den Filmen von Lewin wird der Diskurs von der Medialität von Methoden in einer neuen, gleichsam leibhaftigen Dimension kenntlich gemacht. Die Filme werden nämlich zu einer performativen Instanz, die nicht einfach Wirklichkeit mit ihren Technologien erfasst, sondern sie vielmehr überhaupt erst herstellt (PDF). Katja Rothe (PDF) hat ausgeführt, dass sich hier Gruppen gegenseitig beobachten, um daran eine medial erwirkte und kontrollierte Agentur der Handelnden zu erschaffen. Wie sie weiter betont, werden in Assessmentzentren, im Changemanagement, im Brecht’schen Theater sowie in Gruppensitzungen(PDF) seit den 1930er Jahren Agenturen und Beziehungen längst mit Gefühlen, Atmosphären und Spekulationen performance-, regierungs- und medientechnisch verwaltet. Der Kooperation ist mithin ebenso wenig zu entkommen wie den ubiquitären Infrastrukturen.
Die Projekte der Messe der Medien
Konzept: Martina Leeker
Produktion: Jörg Schulze
Technische Betreuung: Björn Ahrend und Christoph Lindemann (Hausmarke.TV) mit Domingo Stephan, Anuschka Neweczerzal, Katja Winder und Noé Leeker
Video: Björn Ahrend, Christoph Lindemann, Domingo Stephan, Georg Pelzer, Moritz Wehrmann
Vollständige Credits siehe unten.
Die Projekte werden nach thematischer Gliederung und Methoden aufgeführt.
1. Fake, Irritationen und Schichtungen als erkenntnistheoretische Methode
Walter Siegfried
Walter Siegfried arbeitet in dem von ihm entwickelten Format des performativen Vortrags sowie der situativen Gesänge.
Performativer Vortrag: Vom Raum im Raum. Anfänge menschlicher Raumbildungen im Tanz.
Anhand einer Filmanalyse aus der Anfangsphase eines Kinderspiel-Tanzes [MPIV, Seewiesen] wird gezeigt, wie zwischenmenschlicher Raum geschaffen und aufrechterhalten wird. Der Vortrag wird von Gesängen unterbrochen. Ein zentrales ästhetisches Mittel in den Vorträgen sind Irritationen, die Reflexionen zur Konstitution von Wissen auslösen.
Walter Siegfried. Situative Gesänge
Walter Siegfried zielt mit den situativen Gesängen darauf, durch Schichtungen und Verschiebungen die Wahrnehmung einer Situation zu erweitern. Denn die Gesänge legen sich über das Gegebene und zeigen Schichten von Wirklichkeit auf, die ansonsten nicht sichtbar wären. Auf diese Weise erzeugen Gesang und Performance Erkenntnis, die nur durch sie möglich wird.
“In einigen Experimenten wird gezeigt, was passiert, wenn der Körper als ultimative Instanz der Bewertung seinen Platz zurück erhält und die natürlichen Sinne von Mensch und anderen Lebewesen ins Zentrum der Betrachtung gerückt werden.” (Ursula Damm)
Irina Kaldrack
Mockular
Im Video Mockular wird am Beispiel von aktuell entstehenden Augmented-Reality Brillen analysiert, wie Technologie-Entwicklung, Nutzungspraktiken und Institutionalisierungen in der Ausbildung “neuer” Medien ineinander greifen (Irina Kaldrack). Das Interview ist ein Fake.
Wissen durch Methoden der Irritation. Ein Gespräch: Ursula Damm, Irina Kaldrack, Walter Siegfried
Die Gesprächspartner_innen erkunden die Wirkungen von Methoden der Irritation sowie von ästhetischen Interventionen für Wahrnehmung und Erkenntnis.
1.1 Paranoia
Paranoia. Interview mit Ute Holl und Marie Luise Angerer
Ute Holl und Marie-Luise Angerer erkunden den Nutzen von Paranoia als epistemologische Haltung in digitalen Kulturen.
2. Affirmation von Agenturen
In der Installation Blind Robot begegnen die Besucher_innen einem Roboterarm, der in der Art von Blinden ihr Gesicht erkundet.
In crct bndng, werden durch spontane Schaltkreismanipulationen – nicht selten mit bloßen Händen – den digitalen Instrumenten unberechenbare oder gar unerhörte Sounds entlockt.
CRCT BNDNG von Peter Koval
Als Leonhard Euler in den 1730ern nach dem kürzesten Weg über die sieben Brücken Königsbergs suchte, schlug er selbst einige theoretische Abkürzungen ein. Der mühsame Weg der Aufzählung aller möglichen Wege etwa – würde bei ihm auch “vieles gefunden, wonach gar nicht gefragt war” – wurde programmatisch abgekürzt, nur um der damals neuen “Geometrie der Lage” den Weg zu bereiten. Damit fiel auch die Abkürzung der Sphäre des berechenbaren Optimierungswissens zu: Man wird nicht mehr etwas finden, so könnte man Euler paraphrasieren, wonach man nicht sucht. Eben dieses Wissen des topologisch optimalen, im Grunde nicht verkürzbaren Weges materialisiert sich seit ungefähr sechs Dekaden, mit Ausnahme von FPGAs, auch in den Leitbahnen der Platinen oder komplexen Strukturen integrierter Schaltkreise. Da bereits der Elektronikentwurf der Logik des kürzesten Weges folgt, macht eine Abkürzung schlichtweg keinen Sinn. Ein Kurzschluss verbietet sich, schon weil er im Bezug auf die vorgesehene Funktionalität des optimal berechneten Layouts destruktiv ist. Jeder Kurzschluss könnte durchaus der Letzte sein.
(Abb. nach Reed Ghazzala, Circuit-bending: build your own alien instruments, Indianapolis 2005, S. 49.)
Genau an dieser Stelle setzt Circuit Bending seine “dekonstruktive Lektüre” von Elektronik mit einem banalen Stück Draht an – um zu finden, wonach man gar nicht suchte, wovon man nicht wissen konnte, dass man danach sucht. Die “naive” oder gar “anti-theoretische” Suche nach kurz-schlüssigen, unvorhergesehenen Verbindungen, nach Abkürzungen ohne Plan erweist sich als lohnenswert. Es gibt anscheinend eine – quer zum Optimierungswissen gelegene – funktionale “Schicht” des Geräts, von der nicht einmal sein Designer etwas weiß, die sich seiner Intention entzieht und die man, wenn auch etwas gewitzt, mit einfachsten Mitteln freilegen kann. Die spielerische Bastelei an tönendem Elektronikspielzeug geht über eine medienarchäologische (Hertz/Parikka) bzw. medienreflexive Strategie hinaus. Indem sie den Raum der Wege, der Leiterbahnen durch Abkürzungen verdichtet, entfaltet sie das Unerhörte.
3. Experimente am Menschen
Erziehungsstile nach Kurt Lewin
Der Film (Drei Erziehungsstile nach Lewin. s/w, 22 min, 1970; Teil 1 und Teil 2) wiederholt einen sozialpsychologischen Versuch, den Kurt Lewin Ende der dreißiger Jahre unternahm. Eine Erzieherin beschäftigt sich mit drei Gruppen von Kindern, mit denen sie das Kneten von Figuren durchführt. In jeder Gruppe wendet sie einen anderen Erziehungsstil an: autoritär, Laissez-faire, kooperativ.
Credits
Paranoia Interview mit Ute Holl und Marie-Luise Angerer
Paranoia, Leuphana Universität Lüneburg
© Ute Holl, Marie Luise Angerer – Gespräch
Christoph Lindemann – Kamera
Björn Ahrend, Domingo Stephan – Ton
Domingo Stephan – Schnitt
Produziert von Hausmarke.TV
Vortrag Walter Siegfried
Vortrag im Rahmen der Jahrestagung der Gesellschaft für Medienwissenschaft “Medien der Wissenschaften” 2013 an der Leuphana Universität Lüneburg
Domingo Stephan – Kamera, Schnitt
Circuit Bending
circuit bendig auf der GfM Tagung 2013, Leuphana Universität Lüneburg
© Peter Koval – Kamera
Jannik Leenen – Schnitt
Die ihr aus dunklen Grüften
Händel/Brockes “Die ihr aus dunklen Grüften” auf der GfM Tagung 2013, Leuphana Universität Lüneburg
© Walter Siegfried – Aktion
Thomas Fischer – Klavier
Christoph Lindemann – Kamera
Björn Ahrend, Domingo Stephan – Ton
Domingo Stephan – Schnitt
Speisekammer
Brecht/Eisler “Speisekammer 1942” auf der GfM Tagung 2013, Leuphana Universität Lüneburg
© Walter Siegfried – Aktion
Thomas Fischer – Klavier
Christoph Lindemann – Kamera
Björn Ahrend, Domingo Stephan – Ton
Domingo Stephan – Schnitt
Verdi Prati
Händel “Verdi prati” aus Alcina auf der GfM Tagung 2013, Leuphana Universität Lüneburg
© Walter Siegfried – Aktion
Thomas Fischer – Klavier
Christoph Lindemann – Kamera
Björn Ahrend, Domingo Stephan – Ton
Domingo Stephan – Schnitt
Wissen durch Methoden der Irritation
Wissen durch Methoden der Irritation. Ein Gespräch. Leuphana Universität Lüneburg
© Ursula Damm, Irina Kaldrack, Walter Siegfried – Gespräch
Christoph Lindemann – Kamera
Björn Ahrend, Domingo Stephan – Ton
Domingo Stephan – Schnitt
Produziert von Hausmarke.TV
Mockular
Konzept und Darstellung: Irina Kaldrack
Regie und Interviewerin: Martina Leeker
Kamera, Schnitt: Domingo Stephan
Ich bin ein Sensor
Moritz Wehrmann – Schnitt
Georg Pelzer, Moritz Wehrmann – Kamera
Mareike Maag, Maximilian Netter – Ton
Ursula Damm & Mareike Maag – Konzept
Ursula Damm – Idee
© Ursula Damm 2014
Blind Robot
Concept: Louis-Philippe Demers
Co-Producers: Nanyanf Technological University
Mechatronics: Dennis Low
Software: Vineet Kuruvela